Freitag, 24. Dezember 2010

10. Maria und der Neue

Es ist einige Tage her, seit ich mich gemeldet habe. Ich hatte so gehofft, dass sich nun alles erledigt hätte und ich einen Schlussstrich unter die ganze Sache hätte ziehen können, um sie abzuhaken und so weiter zu machen, wie bisher...
Schließlich bestanden die letzten Tage aus Unikrams und anschließendem Geschenke-Kaufen in den Weihnachtsferien, das zum Glück von absolut gar nichts Spannendem unterbrochen wurde. Also zumindest nichts Spannendes für uns. Johnny kam aber eben zu mir und erzählte mir einiges, was er gestern in einem Gespräch mit Maria, unserer kleinen Schwester, erfahren hatte.

Maria saß gerade auf ihrem Tisch in der Schule und versuchte einige Mathehausaufgaben zu lösen, die dieses Mal echt schwer waren. Ihr Bus kam meistens so, dass sie morgens noch genug Zeit für ein paar Hausaufgaben hatte, aber dieses Mal würde es zeitlich echt eng werden. Einige der Aufgaben waren so kompliziert, dass ihr nicht mal der erste Schritt einfiel. Also starrte sie ihr Mathebuch an und spielte mit dem Stift, während sie über die Aufgaben nachdachte. Wieso war Mathe für sie nur so eine Fremdsprache? Ihre großen Brüder hatten alle wenigstens ein bisschen Verständnis für Mathe. Wenn nur einer von den Jungs gerade da wäre, aber Johnny hatte erst später Schule und die anderen hatten ihr Abi längst in der Tasche. Was sie wohl am Wochenende so gemacht hatten? Sie waren ja bei Oma und Opa zu Besuch gewesen und irgendwie verändert nach Hause gekommen. Natürlich hatten sie vorher schon viel gemeinsam gemacht, aber jetzt hockten sie nur noch beieinander im Zimmer rum und wenn man sie störte, machten sie ganz betroffene Gesichter. Erst heute Morgen war ein seltsames großes Päckchen zu Hause angekommen, dass Eric sofort geholt hatte, eh Mutti auch nur einen Blick reinwerfen konnte. Was da wohl drin sein mochte. Vielleicht planten sie ja ein paar besondere Weihnachtsgeschenke dieses Jahr, obwohl sich Maria das nun wirklich nicht vorstellen konnte, schließlich waren ihre Brüder nun mal keine Mädchen und kauften daher frühestens am 24. Dezember Weihnachtsgeschenke… wenn überhaupt!

Marias Gedankenfluss wurde unterbrochen, als sich die Schultür öffnete und ein fremder Junge ehreinkam. Er war schlank, ziemlich groß, hatte braune verwuschelte Haare und eine Stupsnase. Aus seinem Gesicht blickten tiefblaue Augen und durchsuchten das Klassenzimmer. Eigentlich sah er ja ganz putzig aus, wenn man die etwas altmodischen Klamotten und das in die Hose gestopfte Hemd übersah…
„Hallo!“, sagte Maria, die als einzige in der ersten Reihe saß. „Kann man dir helfen?“, fragte sie.
Der Junge ging auf Maria hin, streckte ihr die Hand entgegen und sagte: „Guten Morgen, ich bin Marc.“ Maria ergriff verwundert die Hand und musterte das Gesicht des fremden Jungen, während sie sich ebenfalls vorstellte: „Maria.“
Der lächelte sie an und fragte: „Bin ich hier richtig in Herrn Müllers Klasse? Ich bin neu in der Stadt, meine Familie ist am Wochenende erst her gezogen.“
„Na dann herzlich willkommen. Du bist hier genau richtig. Wir haben auch gleich schon Mathe bei Müller.“
„Ah das freut mich.“, sagte er ein wenig steif und stand immer noch etwas verloren vor Marias Tisch. Dann fragte er: „Gibt es hier einen Platz, der noch frei ist und auf den ich mich setzen kann?“
Maria überlegte kurz und zeigte dann rechts auf den Tisch hinter ihr. „Da ist noch frei, also setzt dich ruhig hin.“
Marc bedankte sich freundlich, hing seine Jacke an die Garderobe, stellte seinen Rucksack auf seinen neuen Platz und trat dann neben Maria. „Welches Stoffgebiet behandelt ihr denn gerade in Mathematik?“, wollte er wissen und überflog Marias Hausaufgaben, die vor ihr auf dem Tisch lagen.
Maria hatte gar keine Zeit zu Antworten, da nickte er und meinte: „Achso, ihr rechnet Gleichungssysteme!“
Er zeigte auf die dritte Gleichung, die Maria noch nicht umgestellt hatte und erklärte in gönnerhaftem Ton: „Schau hier, du musst das Ganze nach „z“ umstellen und das Ergebnis in die zweite Gleichung einsetzen. Der Rest ist dann ein Kinderspiel.“
Maria war ihm dankbar für die Hilfe, vor allem, weil sie die Aufgaben bis zum Stundenbeginn sonst wahrscheinlich nicht würde lösen können, vor allem nicht richtig… „Ah, danke dir. Du musst wissen, Herr Müller fragt immer die Hausaufgaben ab, und ich will nicht schon wieder dumm dastehen, wenn er mich dran nimmt.“
Marc nickte verstehend und gab ihr anschließend noch ein paar Tipps, so dass sie es gerade bis zum Unterrichtklingeln mit allen Aufgaben geschafft hatten, sogar inklusive Probe.
Während Maria schnell noch die Ergebnisse doppelt unterstrich stürmten auch die letzten Klassenkameraden auf den letzten Drücker noch ins Zimmer, bevor Herr Müller hereinkam, sodass sich Marc schnell auf seinen neuen Platz setzte. Nach der allmorgendlichen Begrüßung begann dann auch schon der Unterricht.
„Ah, der Neue ist da.“, erzählte Herr Müller mehr sich selbst als den anderen. „Habe schon gehört, dass du jetzt in unserer Stadt wohnst Marc Blakwathar.“

„Blackwater…“, erklärte Marc mit englischem Akzent „… Das ist ein englischer Name.“
Herr Müller zogen die Augenbrauen nach oben, dann meinte er verärgert. „Aha, na dann begrüßen wir eben Herr Blackwater.“
Er holte tief Luft und fuhr dann fort: „So Leute, wollen wir doch mal sehen, was Herr Blackwater so auf seiner alten Schule gelernt hat…“
Und in den nächsten fünf Minuten packte Herr Müller alle möglichen Kopfrechenaufgaben aus, die ihm gerade so in den Sinn kamen, von Quadraten bis Logarithmen – was ist das eigentlich? – ließ er dabei nichts aus, bis ihm schließlich keine neuen Aufgaben mehr einfielen.

Denn Marc löste alle Aufgaben mit Bravur, und dass, obwohl Maria nicht mal alle Fragen verstanden hatte. Herr Müller war ganz verwundert und begeistert zugleich, auch wenn er Marc nun nicht hatte vorführen können: „Leute, da habt ihr echt einen super Zugang bekommen. Endlich mal ein Licht, im Dunkel dieser Klasse…“
Die weitere Doppelstunde verlief ohne besondere Vorkommnisse. Mathe war so öde, wie immer und Maria fragte sich, welche Weihnachtsgeschenke sie wohl ihrer Familie machen könnte. Irgendwas von Playmobil für Yoda, das war immer einfach, dann was zum Rätseln für Ma und irgendwas zum Essen für Pa, aber sonst?
Fünf Geschenkideen später war die Unterrichtsstunde dann auch schon um und alle packten ihre Brotdosen für die Frühstückspause aus und zogen ihre Jacken an. Es war eiskalt, aber immerhin lag Schnee und das hieß es würden bestimmt wieder ein paar Elfer versuchen die Lehrer abzuschießen…
„Wo müssen wir denn als nächstes hin?“, fragte Marc und gesellte sich zu Maria. „Wir haben doch jetzt Frühstückspause, wusstest du das nicht?“, hakte Maria nach und kramte ebenfalls ihre Brotdose hervor.

„Achso…“, stellte Marc fest und zog seine Jacke an. Er wartete bis auch Maria Jacke und Handschuhe angezogen hatte und ging dann zusammen mit ihr nach draußen auf den Hof. Eigentlich hätte Maria die Pause ja mit ihren Freundinnen verbracht, aber Marc war schließlich neu hier und brauchte etwas Gesellschaft. Außerdem, wenn ein so süßer Junge sich schon mal mit ihr unterhielt, warum sollte sie die Gelegenheit dann nicht ergreifen und ein bisschen mit ihm plaudern?
„Wo kommst du eigentlich her?“, fragte Maria, formte einen Schneeball und warf ihn wieder auf den Boden, da es ja verboten war Schneebälle zu schmeißen…
Marc ging darauf ein und erklärte: „Aus Hamburg. Mein Vater hat da beim Max Planck Institut gearbeitet und die Forschungsgruppe ist hierher gewechselt.“
„Ah. Also ist dein Dad auch nen Wissenschaftler. Und was ist mit deiner Mum?“, fragte Maria weiter, auch wenn sie sich im Moment nicht so sicher war, ob er nicht schon was über sie erzählt hatte.
„Ja, die ist natürlich mitgekommen. Wir wohnen ein wenig außerhalb der Stadt. Und wie ist es bei dir? Hast du Geschwister?“, hakte er neugierig nach.

Auf eine gewisse Art war Marc ihr echt sympathisch, auch wenn er irgendwie den Eindruck machte nicht hierher zu gehören. Ständig blickte er sich mit seinen schönen Augen suchend um und sein Körper war ständig in Bewegung. Er rieb sich die Hände oder wippte mit dem Fuß, selbst, als sie einfach nur neben der, vom Schnee befreiten, Tischtennisplatte standen und den Kleinen beim Tischtennisspeilen zuschauten. Irgendwie hatte Marc auch eine komische Aussprache und betonte die Wörter teils so eigenartig, dass sie schon zu perfekt ausgesprochen wurden. So als ob einer krampfhaft Hochdeutsch sprach, der eigentlich gar kein Deutscher war…
Doch Marc hatte sie ja etwas über ihre Geschwister gefragt und so konnte Maria sich nicht weiter auf solche Details fokussieren: „Es wird ne Weile dauern, bis ich alle aufgezählt habe. Wir sind nämlich sieben. Meine Ellis und noch vier Geschwister.“

Marc lächelte und seine Neugier schien ungebrochen: „Hast du etwa auch große Brüder. Ich meinerseits habe mir immer große Geschwister gewünscht als Einzelkind. Jemand der dir Ratschläge geben kann und der dich beschützt, wenn du Probleme kriegst.“
Maria ließ ihren Blick über den Schulhof wandern, dann meinte sie: „Ja, sogar drei große Brüder. Johnny, Eric und Dave. Johnny geht sogar hier auf die Schule, aber wie ich gerade gemerkt habe, ist er im Moment nicht auf dem Pausenhof. Also brauche ich keine Angst haben, dass mich hier einer ärgert, denn Johnny ist echt groß und sportlich. Naja und Eric, der arbeitet als Informatiker, hat vor kurzem Abi gemacht und Dave studiert Bio hier in der Stadt.“
Marc verlagerte sein Gewicht ständig von einem Bein auf das andere, so als wäre ihm kalt. Er schien ebenfalls nach Johnny Ausschau zu halten. Dann sprach er weiter: „Soso, Biologie. Das ist wirklich ein interessantes Fach. Vor allem die Genetik. In welche Richtung schreibt Dave denn seine Diplomarbeit. In Mikrobiologie vielleicht?“
Maria zuckte die Achseln: „Das weiß ich doch nicht. Außerdem studiert er erst ein paar Semester. Der schreibt also noch lange keine Diplomarbeit.“
Marc schien etwas verwirrt zu sein: „das heißt also, ihr seid alle alterstechnisch nahe beieinander. Dachte jetzt, dass Dave schon älter wäre… Das ist aber auch nicht von Relevanz. Erzähl mir doch noch ein bisschen was von deiner Familie.“
„Nun ich habe noch nen kleinen Bruder, der ist in der Vierten und dann noch meine Eltern. Pa arbeitet ebenfalls als Wissenschaftler, aber an der Uni. Ma bleibt zuhause und kümmert sich um den Haushalt. Da fällt viel an bei fünf Kindern.“
Marc nickte und lenkte dann das Gespräch in Richtung Schule. Er fragte ein paar Sachen über die Klassenkameraden, die Lehrer und die Klassenräume und so entschloss sich Maria ihm das Schulhaus von innen zu zeigen.

Also führte sie Marc durch das Gebäude während sie ihr Pausenbrot aß. Beide unterhielten sich noch weiter, bis die Pausenglocke schlug und die nächste Stunde weiter ging.

Jetzt hatten sie Chemie und Marc setzte sich auf einen freien Platz in der Ecke, so dass sich Maria nicht weiter mit ihm unterhalten konnte. Dafür aber saßen Larissa und Lisa neben ihr, so dass sie von der Chemiestunde nicht viel mit bekam. Ihre beiden Freundinnen waren nämlich die ganze Zeit damit beschäftigt den Neuen zu analysieren und einzuschätzen. „Boah, ist der süß!“, meinte Larissa und Lisa wollte alles haargenau wissen, was Marc ihr so erzählt hatte. Unzweifelhaft war Maria also wohl nicht die einzige, der der schlaksige Junge gefiel…
Treu erzählte Maria ihnen alles, was sie wissen wollten, sofern der Unterricht es ihr ermöglichte.
Schleppend zog sich so der ganze Tag, bis auch die letzte Stunde beendet war und Maria endlich nach Hause könnte. Schule war gerade irgendwie „gar nicht mal so geil“, wie Johnny sagen würde.
Marc verabschiedete sich von Maria, die am Schultor auf ihren Bruder Johnny wartete, und ging dann in Richtung Straßenbahnhaltestelle. Maria wartete noch circa fünf Minuten, dann kam Johnny und die beiden fuhren gemeinsam mit dem Bus nach Hause. Unterwegs unterhielten sie sich über den Tag und die neue Vampire Diaries Folge, die gestern Abend im Fernsehen gekommen war. Unzweifelhaft hatte Johnny einige Probleme mit der Logik der Vampirdarstellung, was Maria aber nicht wirklich interessierte. Sie hörte Johnny meistens still zu, während sie ihre Gedanken schweifen ließ und über Marc nachdachte, auch wenn sie ihn Johnny gegenüber mit keinem Wort erwähnte. Seit wann gingen ihre Brüder denn Jungs an, die sie interessierten? …

Es war etwa drei Tage später, als Herr Müller für den nächsten Morgen einen Test ankündigte. Maria stöhnte leise und legte den Kopf in die Hände. „Gleichungssysteme!“ stöhnte sie und bekam ein heftiges, ebenfalls entrüstetes Nicken von ihrer Banknachbarin. Herr Müller tat so, als hätte er die Begeisterung seiner Klasse nicht weiter bemerkt und zog die Stunde mit einem Tempo durch, dass spätestens jetzt auch die Zweier-Schüler Angst vor der Leistungskontrolle bekamen. Man verstand einfach gar nichts mehr, von dem was man vorher sowieso nur halb gerafft hatte.
Völlig fertig blieb Maria nach der Stunde sitzen und vermerkte sich erst einmal: „Eric um Hilfe bitten!!!“, in ihrem Hausaufgabenheft, um heute Nachmittag auch ja noch einmal zu üben.

Sie hatte gerade drei dicke Ausrufezeichen hinter die Notiz gesetzt, da spürte sie eine sanfte Hand auf ihrer Schulter. Etwas überrascht drehte sie sich um und sah Marc in die tiefblauen Augen.
„Was hältst du davon, wenn ich mit dir heute Nachmittag ein wenig übe? Wir kriegen das schon hin.“, sagte er und nahm sein Hand wieder zurück.
Maria wurde ein wenig schummerig bei der Aussicht, den Nachmittag mit Marc verbringen zu können. „Wo denn?“, fragte sie schüchtern.
„Mein Vater ist leider körperlich in einer ungünstigen Verfassung. Also vielleicht hier? Oder bei dir zuhause?“, schlug er vor.
Maria dachte einen Moment nach: „Na, ich habe keine Lust den ganzen Tag in diesem Gefängnis von Schule zu verbringen. Ich würde vorschlagen du fährst mit mir im Bus zu mir aufs Dorf und wir lernen da. Da können wir auch meinen Bruder Eric fragen, wegen den Aufgaben und du wolltest bestimmt schon immer mal mit Dave über Bio quatschen, so neugierig wie du da bist.“
Marc lächelte ein bisschen schüchtern, nickte dann aber und meinte: „Nun denn, so machen wir das am besten.“
Maria schaute auf die Uhr, packte schnell ihre Sachen zusammen und sagte: „Du, es ist schon spät. Ich muss los zu Reli und du zu Ethik. Wir sehen uns danach dann vorne an der Bushaltestelle.“
„So sei es!“, sagte Marc lächelnd und verließ mit seinem Rucksack den Klassenraum.

Von Reli bekam Maria nichts mit. Sie war die ganze Zeit damit beschäftigt, was sie eigentlich davon halten sollte, dass Marc mit ihr nach Hause kam. Natürlich war er süß, aber war sie etwa schon so verknallt in ihn, dass sie keine Gelegenheit auslassen konnte, sich mit ihm zu treffen? Ging das nicht etwas schnell, dafür dass sie den außergewöhnlichen Jungen noch gar nicht kannte? Aber andererseits war er auch einfach nur viel zu süß…

Reli ging schnell vorbei und Maria stapfte durch den Schnee zur Bushaltestelle, wo Marc schon auf sie wartete. Eigentlich mochte Maria den Schnee wirklich, aber es war schon seit Wochen permanent bewölkt und daher waren selbst die kurzen Tage so düster, dass man fast melancholisch werden konnte. Marc hatte die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, um nichts von dem Schnee abzukriegen, den der Wind durch die Straßen peitschte. Lächelnd empfing er Maria und erklärte ihr begeistert, was sie heute in Philosophie behandelt hatten: „Wenn du mit einem anderen kenterst und ihr habt nur ein Brett, das nur einen von euch tragen kann. Darfst du dann den anderen davon runter werfen, um selbst zu überleben, sofern du stark genug bist? Darf dich dann irgendjemand verurteilen, für das was du getan hast?“
Maria war gedanklich eigentlich wo anders, aber sie ließ sich auf das Gedankenexperiment ein: „Nun, das ist nicht gerade meine Lebenswirklichkeit, aber gesetzt den Fall, ich denke es würde davon abhängen wer der andere ist…“

Der Bus kam und so schwieg das Gespräch einen Moment, während beide einstiegen und ihre Schülerausweise vorzeigten. Erst als sie sich nebeneinander gesetzt hatten, antwortete Marc: „Ja, das haben wir auch besprochen. Wie wäre es zum Beispiel du hast einen Alten oder Kranken dort. Oder ein Kind. Oder gar den Papst. Oder, wie wäre es, wenn das jemand aus deiner Familie wäre.“
Maria runzelte die Stirn. Ihr gefiel die Vorstellung nicht wirklich. „Also, wenn du denkst, dass wir in unserer Familie kämpfen würden, wer auf das Brett darf, da liegst du sicherlich falsch. Ich glaube, wir würden eher aushandeln, wer die besseren Chancen hat, zu überleben. Zeit zum Schwimmen hätten wir j“

Marc schien aus philosophischer Sicht nicht ganz mit Marias Antwort zufrieden und schloss von da an, das Thema Familie aus der Diskussion aus. Immerhin konnten sich beide auf der Busfahrt darauf einigen, dass sie wohl kaum einen Mörder auf dem Brett lassen würden, wenn sie die Wahl hätten…

Zuhause angekommen, gingen Maria und Marc gleich rauf ins Marias Zimmer, um sich mit den Übungsaufgaben für Mathe an den Schreibtisch zu setzen. „Sag mal, ist eigentlich keiner aus deiner Familie zuhause? Stellt man nicht seine Gäste vor, so wie man das bei uns in der Heimat täte?“, fragte Marc.

Maria fand die Frage seltsam. Kam Marc etwa aus adeligem Hause, wo man dem Pförtner jeden Besuch anzumelden hatte. Also schüttelte sie den Kopf und erklärte: „Keine Ahnung, wer alles da ist. Ma habe ich nicht gesehen, sie wird also wohl schwimmen gefahren sein. Pa ist arbeiten; und meine Brüdern haben noch Schule beziehungsweise Uni oder Arbeit. Außerdem kann ich doch mitbringen, wen ich will.“

„Ist in Ordnung…“, murmelte Marc und stand dann auf „…ich muss mal wohin. Wo ist denn bei euch der Männerraum?“
Maria lachte über die Ausdrucksweise: „Du meinst das Klo. Sei nicht immer so vornehm. Du musst nur bei mir raus und dann ist es die erste rechts von der Tür zur Treppe. Oder alternativ die zweite, wir haben hier zwei Bäder.“

Marc nickte und verließ das Zimmer. Maria schaute sich derweilen schon einmal die Aufgaben an, auch wenn sie nicht annähernd verstand, worum es dabei ging. Irgendwann hörte man die Klospülung, das Waschbecken und bald stand Marc wieder im Zimmer. Er sah ein wenig fremd aus und schaute ein wenig gestresst aus.

„Lass uns anfangen!“, meinte Marc und setzte sich neben Maria auf einen Stuhl. Beim Hinsetzten verschob sich sein Pullover ein wenig und Maria sah, dass er eine seltsame Handytasche am Gürtel trug. „Oh, was hast du denn eigentlich für ein Handy?“, fragte Maria und streckte die Hand aus.
Marc schob nervös den Pullover wieder runter, wobei der Gegenstand in der Tasche metallisch glänzte. Marc meinte ein wenig stotternd: „Och, das ist gar kein richtiges Handy. Eher, ähm…, ein Feuerzeug.“
Maria war erstaunt: „Ein Feuerzeug. Rauchst du etwa? Und warum sieht das Feuerzeug denn aus wie ein Butterfly Messer. Ich wusste gar nicht, dass es sowas gibt.“
Marc wirkte eingeschüchtert: „Ja, es ist ein Geschenk meines Opas. Es ist ein Feuerzeug in genau der Form eines Butterfly-Messers. Aber, woher kennst du denn sowas? Sollten nicht Mädchen eigentlich von Waffen keine Ahnung haben?“
Maria zuckte die Achseln: „Ach, Johnny liest diese Waffenzeitschriften aus den USA und lässt die manchmal auf dem Klo rumliegen. Die schaue ich mir dann an, wenn mir mal langweilig ist.“

„Ach so. Naja, lass uns anfangen.“, wiederholte Marc seine Aufforderung und schrieb die erste Aufgabe auf ein Schmierblatt.
Dann fragte er Maria: „Und hast du irgendeine Ahnung, wie man das hier lösen kann?“
Maria zuckte mit den Achseln und ließ es sich von Marc erklären. Sie hatte noch nicht einmal das Endergebnis aufgeschrieben, da klopfte es an der Tür und Johnny kam herein.
„Hallo…“, warf er in den Raum und winkte dann Maria zu sich: „Schwesterlein, kommst du mal. Ich muss dich mal was fragen.“
„Ja, klar. Dauert bestimmt nicht lange, Marc.“, sagte sie und verließ das Zimmer.
Johnny führte sie in sein Zimmer im Dachgeschoss und meinte dann: „Wer ist der Junge dort? Sag mal, bist du etwa verknallt in ihn?“

Maria schaute ihren Bruder fassungslos an: „Sag mal, Johnny, bist du total bescheuert. Das geht dich überhaupt nichts an! Und übrigens ist das Marc aus meiner Klasse. Er hat mir angeboten, für den Test morgen mit mir zu lernen.“
Johnny zog die Augenbrauen nach oben: „Ach so, ihr lernt also nur? Ich kann dir nur raten, sag deinen Eltern Bescheid, bevor du einen wildfremden Jungen in dein Zimmer schleppst.“
Maria wurde sauer: „Misch dich nicht ein! Ich werde jetzt wieder runter gehen und weiter mit Marc lernen. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ich werde dir nachher mehr erzählen, wenn du mich für die nächsten Stunden in Ruhe mit ihm lernen lässt.“

„Na gut.“, nickte Johnny und ließ sie gehen.
Maria schloss wütend Johnnys Tür hinter sich und ging hinunter zu Marc. Vielleicht sollte sie nicht so offen mit Johnny sein, sonst käme er noch auf die Idee, dass sie ihm wirklich alles erzählen müsste.

Als Maria ihr Zimmer betrat, hatte Marc gerade ein Handy am Ohr: „Ist in Ordnung, ich komme.“, sagte er und legte auf.
Bedauernd schaute er Maria an. „Es tut mir leid, aber mein Vater hat angerufen und braucht dringend Medizin bei der einen Apotheke in der Stadtmitte, die in einer Stunde zu macht. Es tut mir wirklich leid. Wenn du nicht weiter kommst bei den Aufgaben, dann schreibe mir ne Email und ich erkläre dir das heute Abend am Telefon. Aber ich muss wirklich los. Machs gut, Maria.“, sagte er und stürmte ohne ein weiteres Wort aus dem Zimmer, zog sich im Erdgeschoss die Schuhe an und verließ das Haus.

„Na super!“, murmelte Maria vor sich hin und setzte sich über das Mathebuch, aber die Zahlen waren ihr heute nicht freundlich gesinnt und hatten keine Lust, sich mit ihr so zu unterhalten, dass sie es verstehen konnte. Aber es dauerte auch gar nicht lange, da stand Johnny in der Tür: „Na, Marc ist ja schon weg. Mann, mach dir keine Sorgen wegen Mathe ich helfe dir. Aber danach erzählst du mir alles über diesen Marc, ich bin echt gespannt.“

„Na gut.“, seufzte Maria und begann mit Johnny die Aufgaben durchzurechnen…

Johnny erfuhr nach den Aufgaben, wie Maria Marc kennen gelernt hatte und kam am nächsten Tag zu mir, um mir das Ganze zu erzählen. Tja, unsere kleine Schwester hat wohl bald einen Freund, könnte man denken. Wäre auch so gewesen, hätte Marias Klassenlehrerin nicht heute Morgen erzählt, dass Marcs Familie gestern wegen der Krankheit von Marcs Vater nach Paris abreisen mussten, um ihn dort wegen dessen seltener Krankheit zu behandeln. Maria war natürlich ziemlich überrascht und aufgelöst, aber Johnny hat es ganz gut geschafft sie zu trösten…
Nun, warum erzähle ich diese Episode aus unserem Leben? Das hat mehrere Gründe. Zum einen gibt es natürlich einiges, was mir an diesem Marc verdächtig vorkommt – was das ist, brauche ich nicht genauer zu erläutern. Zum anderen aber zeigt es sehr deutlich, wie es Eric, Johnny und mir seit unseren Erlebnissen geht: In allem sehen wir eine potentielle Bedrohung und können doch nicht abschätzen, wie real das Ganze ist.
Gibt es noch mehr Vampire da draußen? Wahrscheinlich!
Sind wir für sie interessant? Wir wissen es nicht!
Alles, was uns übrig bleibt, ist die Augen offen zu halten und so weiter zu leben, als wäre nichts passiert. Die Zukunft wird zeigen, ob Johnny mit seiner Vermutung recht hat, das Marc möglicherweise in der Sache mit drin gesteckt hat (was hieße, dass er wegen Johnnys Misstrauen abgehauen wäre), oder nicht. Aber zum Glück ist er erst mal weg und es spricht gerade nichts dafür, dass wir irgendeine Bedrohung zu erwarten hätten…

Ich hoffe, wir sprechen uns wieder.

Beste Grüße,
The Runner

4 Kommentare:

  1. Hallo Runner,

    ich könnte dir dabei helfen Gleichgesinnte zu finden bzw hat meine Geschichte Ähnlichkeit mit deiner..
    Falls zu meine Hilfe annehmen willst, melde dich.

    Grüße, Bloodynightmare
    [bloodynightmare1995@web.de]

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  2. Hi
    Schreibst du noch weiter? Meld dich mal: fani@fani.ch

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  3. Ich würde gerne wissen wie es weitergeht?
    Viel Erfolg bei der Suche nach Verbündetn!
    Evtl kann man helfen?

    Grüße.
    ArcherV

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  4. Hi

    hört sich alles sehr spannend an, schade das du nicht mehr weiter schreibst :(... also sobald du weiter schreibst bitte melden.

    Grüße
    piku_piru666@web.de

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