Montag, 6. Dezember 2010

6. Gibt es Vampire?

Die Frage, ob es Vampire gibt, habe ich mir natürlich nie ernsthaft gestellt, bis zu diesem Tag im Wald. Doch was heißt es eigentlich, wenn es Vampire gibt? Für mich heißt es, dass man extrem aufpassen muss. Alles verändert sich, wenn man in diesem Wissen lebt. Jede Person, die einem begegnet wird verdächtig und das was von nun an das Leben bestimmt ist die Frage, was Vampire eigentlich können und noch mehr, was sie wollen. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich da vor dem Fenster des Internetcafes den Kerl gesehen habe, der mich vor einigen Stunden so angeglotzt hat. Ich werde jedenfalls ein Auge auf das Fenster haben, während ich schreibe.

Ich pflichtete ihm bei und rief nach Eric. Der kam bald darauf hinter einer Deckung hervor und gab uns das Zeichen nicht auf ihn zu schießen.
Was ist denn los?“, wollte er wissen, als er unsere entgeisterten Gesichter sah.
Ich sprudelte nur so aus mir heraus: „Junge, du kannst dir gar nicht vorstellen, was gerade passiert ist. Ein Typ hat mich niedergeschlagen und ist mir an die Kehle gegangen, aber Johnny hat ihn mit der Knarre verjagt. Du, ich glaube der wollte mir echt ans Leder.“
Ohne Mist jetzt?“, Eric blickte ungläubig.
Johnny nickte und ich forderte die beiden auf sofort mit mir nach Hause zu gehen. Wir hoben ein paar Holzknüppel auf für den Fall, dass der Typ wiederkommen sollte und machten uns auf den Weg. Natürlich gab es nur ein Gesprächsthema und Eric wollte alles ganz genau wissen.
Johnny erklärte: „Ich habe gesehen, wie der Penner hinter dir her geschlichen ist und dachte erst, dass es Eric wäre. Dann aber habe ich gerafft was los ist und bin leise hin geschlichen. Der Typ hat irgendwas gesagt und mich gar nicht bemerkt. Ich habe ihm mit voller Wucht gegen den Rücken getreten und dann die Knarre auf ihn gerichtet. Da ist er abgehauen.“
Und habt ihr erkannt, wer es war? Und was wollte der von dir?“, fragte Eric.
Ich beschrieb, die harten Gesichtszüge, seine Kraft und die stechenden Augen. „Er hat mir gesagt, dass mein Freund und ich uns nicht hätten einmischen sollen. So ungefähr; und dass wir an irgendwelchen Sachen forschen würden.“
Eric, der eine Ausbildung zum Informatikassistent abgeschlossen hatte, sah mich fragend an. „Was könnt ihr denn schon bitte forschen? Du bist doch noch im Bachelorstudium...“
Ich nickte, auch wenn mir auf einmal klar wurde, was sich jeder andere schon längst hätte denken können. Mit einem Mal schoss es durch meinen Kopf wie ein Blitz. Ich konnte gar nicht anders, ich musste meinen Brüdern erzählen, was ich dachte, auch wenn sie mich wahrscheinlich für verrückt halten würden: „Mensch, Shit. Ich glaube ich weiß, was hier gespielt wird. Der Typ sah aus wie ein verdammter Vampir!“

Meine Brüder verzogen das Gesicht und ich konnte deutlich das Wort „Spinner!“ in ihren Augen lesen.
Wartet, ich erkläre es euch. Mit dem Freund kann er nur Thoralf meinen, denn er ist mein einziger enger Freund im Biostudium. Thoralf ist seit über einer Woche spurlos verschwunden, ja selbst sein Zimmer ist in der WG ist komplett leer. Auch kein anderer weiß, wo er steckt. Angeblich ist er ausm Studium rausgeflogen. Das letzte worüber wir uns unterhalten haben war, wie man wissenschaftlich den Vampirismus erklären könnte. Thoralf hat auf so einer Internetseite dazu eine nicht ernstgemeinte Theorie veröffentlicht. Vor allem wurde sein Kommentar auf der Internetseite gelöscht und ich habe ihn seitdem nicht mehr gesehen oder was von ihm gehört. Ich habe ihm gemailt und ihn gestern angerufen, aber er meldet sich nicht.“

Ich hatte erwartet, dass meine Brüder sprachlos waren, oder mich einen Idioten schimpfen würden, aber Eric verzog das Gesicht zu seiner Denkermiene und Johnny pflichtete mir bei: „Mann, ich dachte ich spinne und habe deswegen nix gesagt, aber der Kerl hatte blutunterlaufene Augen und und extrem große Eckzähne. Ich habe ihn mit einer Wucht und mit meinen Stahlkappenschuhen getreten, dass jeder andere umgefallen wäre, aber ich habe ihn bloß etwas zur Seite geschubst. Ich glaube dir Mann!“
Es schien so, als sei Eric immer noch skeptisch: „Woher soll der Typ denn wissen, wo du bist? Vampir hin oder her? Ich meine nichtmal Thoralf wüsste doch, wo wir sind, oder?“

Prinzipiell hatte er recht: „Ja, ich habe ihm nur auf die Mailbox gesprochen und ihn gefragt wo er steckt und so.“
Jetzt da wir ahnten, mit wem oder was wir es zu tun hatten, beschleunigten wir unsere Schritte und spähten ängstlich in alle Richtungen des Waldes. Egal ob Vampir oder Mensch - wobei mein Verstand sich irgendwie weigerte die Konsequenzen des ersteren zu durchdenken und daher lieber auf den „Mensch“ beharren wollte - der Typ könnte merken, dass es nur eine Spielzeugwaffe gewesen war und zurückkommen.

Hat einer von euch ein Taschenmesser?“, fragte Johnny und ließ sich von mir mein Schweizer Taschenmesser geben. „Ich werde diesen Stock hier nämlich anspitzen. Sicher ist sicher! Wenn ich eins aus Vampirfilmen gelernt habe, dann dass Pfählen immer irgendwie hilft. Auch wenn es manchmal nur lähmt, aber das wäre ja auch schon mal was!“
Ich musste ihm recht geben und so erbat ich mir etwas später das Taschenmesser zurück, um ebenfalls einen Stab anzuspitzen.
Erics Gesicht war immer noch nachdenklich, dann schließlich fing er an zu reden: „Also ich habe drüber nachgedacht. Der Angreifer ist entweder ein wahnsinniger Irrer, oder du hast wirklich echt mit allem recht... Dann müsste er Thoralfs Handy gehabt haben und den Anruf zurückverfolgt haben. Das wiederrum bedeutet, dass er technisches Knowhow besitzt. Was aber insgesamt viel krasser ist: Shit, es gibt dreckige Vampire. Was wollen die Monster, welche Eigenschaften haben sie, wie viele gibt es und wo kommen die Drecksbiester her?“
Eric ging wie immer analytisch an die Sache ran. Während ich mir Sorgen machte und bei jedem Schritt befürchtete angegriffen zu werden, fragte er nach dem Warum. Ich antwortete ihm: „So viel kann ich dir sagen: Thoralf hat ja zu dem Thema was gepostet. Sollte es falsch gewesen sein, dann hätte der Vampir ja gar keinen Grund gehabt ihn...“
Ich konnte den Gedanken nicht verwehren, dass Thoralf etwas zugestoßen war, aber ich wollte es auch gar nicht erst vermuten, also lenkte ich ab: „Also, sollte das, was er geschrieben hat, falsch gewesen sein, dann gäbe es keinen Grund uns zu verfolgen. Es ging in der Kurzform um einen humanpathogenen Virus, der als horizontaler Genvektor funktioniert und zu verschiedenen Vampireigenschaften wie Bluthunger und Unsterblichkeit führt.“
Jetzt war es Johnny, der mich überraschte: „Ich habe vor ner Weile mal was zu dem Thema gelesen. Also, dass die Vampire gar kein Licht ertragen, ist wohl eine Filmidee. Sie meiden eher das Licht, aber dass es tödlich ist, ist der Legenden zufolge gar nicht wahr. Je mehr ich nachdenke, desto mehr komme ich zu dem Schluss, dass es gar nicht anders sein kann. Jetzt stellt sich eben nur die Frage, wie viel von dem Vampirwissen, was man so hat, überhaupt stimmt.“
Wir liefen gerade das letzte Stückchen Berg hinab bis zum Haus unserer Großeltern.
Eric meinte nur: „Jaja, kann alles sein. Ich frage mich gerade nur, wie wir lebend aus der Sache raus kommen und ob uns Gefahr droht? Wenn wir zu Hause sind, dann muss all unser Denken der Frage gelten, wie wir uns schützen können. Nicht nur uns, sondern auch unsere Großeltern. Es steht jedenfalls fest, dass ihr absolut niemandem erzählen könnt, von dem was heute passiert ist. Erstens glaube ich selbst noch nicht wirklich dran und wir haben noch keine echten Beweise und zweitens glaubt euch sowieso keiner. Und drittens sollten wir keine Aufmerksamkeiten auf uns ziehen!“
Eric hatte recht! Durch das alte Gartentor betraten wir das Grundstück unserer Großeltern als Johnny meinte: „Wir gehen zuerst in die Garage. Dort können wir uns mit Waffen eindecken!“
Mein Bruder war ein Schwarzenegger-Fan und mochte Martial Arts-Filme ebenso wie ich. Möglicherweise war es seinem Alter geschuldet, aber er dachte natürlich zuerst an Waffen zur Verteidigung. Also öffneten wir die Garage, in der unser Opa alle möglichen Werkzeuge lagerte, und deckten uns mit zwei Holzäxten, einem Schleifstein und einer Sichel ein. Johnny entdeckte außerdem einen Meißel: „Das ist genau das, was ich gesucht habe. Nur schade, dass er nicht aus Silber ist, dann würde ich mich sicherer fühlen! Aber es gibt ja sicher Zwiebeln und Knoblauch in der Speisekammer.“
Ich musste grinsen. Johnny war echt eine Kämpfernatur! Ich nahm noch einen Hammer mit und dann begaben wir uns ins Haus. Dort angekommen rieb Johnny seinen Meißel und seine Axt mit Knoblauch und Zwiebeln ein, was natürlich ganz schön stank.
Eric dachte wieder pragmatisch und meinte: „Wir können heute Nacht unmöglich getrennt schlafen. Bringt euch Matratzen in mein Zimmer, denn dort sind wir am nächsten bei dem Schlafzimmer unserer Großeltern. Ich werde die Zeit bis zum Mittagessen nutzen und mich im Internet schlau machen.“
Gerade wollte ich ihm zustimmen, als mir einfiel, dass es hier gar keinen Internetanschluss gab. Ich erinnerte Eric daran, doch der meinte nur: „Ja, aber einen Telefonanschluss gibt es. Ich gehe über ISDN rein. Muss nur noch Opa fragen.“
Im Haus deponierten wir unsere Waffen an gut greifbaren orten, Nur Johnny steckte sich den Meißel in den Hosenbund und die Softairpistole in den Gürtel. „Sicher ist sicher!“, sagte er.

Sowohl beim Mittagessen als auch beim Abendbrot waren wir unseren Großeltern gegenüber ziemlich schweigsam, was diesen aber nicht aufzufallen schien. Sie erzählten munter von früher und von Politik, so wie sie es sonst auch taten. Wir Jungs unterdessen nickten nur immer wieder und hielten die Fenster im Auge. Unsere Köpfe schwirrten, von all den Gedanken die wir uns machten; und wenn wir ungestört waren, dann versuchten wir im Internet an Informationen zu kommen und etwas neues herauszufinden.

So, jetzt wisst ihr, wie ich in das Schlamassel rein geraten bin. Ich habe es nicht geschafft zu erzählen, wie wir aus dem Kaff gekommen sind, aber das werde ich tun, sobald ich die Zeit dazu habe. Eigentlich müssten wir momentan sicher sein, aber ich weiß einfach noch zu wenig über unsere Lage, um das genau zu sagen.
Bis zum nächsten Mal.

The Runner

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