Montag, 6. Dezember 2010

2. Thoralfs Kommentar

So, ich bin wieder im Cafe, um meine Erlebnisse weiter aufzuschreiben. Glücklicherweise sitzt der kleine Typ nicht mehr hier, und so kann ich mich einigermaßen sicher fühlen. So also, ging es weiter:

Abends setzte ich mich einigermaßen müde an den Computer, um meine Mitschriften nochmal zu überarbeiten und einige Bilder einzufügen.
Da plötzlich ging eine Nachricht von Thoralf über Skype bei mir ein. Er hatte mir das entsprechende Video zur Twilightverarsche geschickt. Jede Ablenkung, mag sie auch noch so klein sein, kann einen Grund zur Ausrede vom Arbeiten darstellen und so schaute ich mir das Video nochmals an. Es war nur halb so lustig, wie ich es in Erinnerung hatte, aber immerhin kurzweiliger als meine Mikrobiotexte.
Ich wollte die Internetseite gerade schließen, da sah ich, dass man unter den Videos Kommentare hinterlassen konnte. Ganz offensichtlich hatten wieder einige Vampir-Freaks den Raum genutzt und diskutierten munter über die Existenz von realen Vampiren. Einer beschrieb den Vampirismus als die Tollwut und ein anderer philosophierte davon, dass ein spezielles Gift den Körper der Menschen zu Vampiren umwandelte. Natürlich gab es genügend Leute, die munter dagegen posteten und jegliche Existenz solcher „übernatürlicher Wesen“ abstritten.
Amüsiert über die Debatte wies ich Thoralf über Skype darauf hin, dass hier schon wieder Spinner am Werk seinen, die den schönen, und ehrlich gesagt mittlerweile extrem überstrapazierten, Vampirismus auf nichtmal ansatzweise wissenschaftliche Art beschreiben wollten. Nach fünf Sekunden antwortete Thoralf mir auch schon mit einem grinsenden Smilie und meinte: „So, dann wird der Onkel Biologe denen mal die Augen öffnen, kann ja nicht wahr sein, was die hier von sich geben!“
Typisch Thoralf mal wieder! Selbst mir fiel es schwer mich auf mein Studium zu konzentrieren, aber er war wirklich nicht sehr in der Lage langfristig irgendwelchen Stoff auswendig zu lernen und nahm daher gerne jede Ablenkung mit. Ich war gespannt darauf, was er sich aus den Fingern saugen würde und checkte solange mein Email-Postfach und las einige Skriptseiten durch.
Dann aktualisierte ich die Videoseite und sah einen neuen Kommentar von „Prof. Dr. Haeckel“. Das konnte ja nur Thoralf sein, da wir beide uns schließlich oft, über die Wissenschaftlichkeit desselben lustig machten. Wir hatten da nämlich einen Prof., der ganz eindeutig der Meinung war in Hackels Spuren zu wandern und alle mit anderer wissenschaftlicher Meinung zertreten zu müssen...
Verblüfft las ich Thoralfs kreatives und viel zu langes Kommentar:

In dem Fall der Metamorphose zum Vampir von Gift zu sprechen ist biologischer Humbug. Falls es dazu kommen sollte, dass ein Wesen entstehen kann, was sich von Blut ernährt, unglaublich stark und schnell und möglicherweise lichtempfindlich ist, dann dürfte das auf andere Art und Weise geschehen! Die Ernährung von Blut macht nur Sinn bei einem enormen Eisenbedarf oder gegebenenfalls bei der Unfähigkeit selbst Hämoglobin zu bilden (sofern dieses dann nicht im Magen verdaut wird).
Solche Veränderungen, die den ganzen Körper betreffen können jedoch nur auf genetischer Ebene verursacht werden. Dafür kommt also nur die Mutation in Frage. Diese ist entweder vererbt oder entsteht durch horizontalen Gentransfer (die Verwandlung von Menschen zu Vampiren führt zum zweiten). Dieser horizontale Gentransfer wird auch in der Gentechnik angewandt und kann eigentlich nur durch Parasiten hervorgerufen werden, die das Genom verändern. Ein Beispiel dafür wären Retroviren, die ihre DNA in Wirtszellen einbauen und diese dadurch zwingen neue Viren zu produzieren, was zu deren Tod führt. Sollte ein Retrovirus jedoch mutieren und die meisten Wirtszellen überleben den Angriff, dann würden neue Retroviren gebildet und die überlebenden Zellen würden mutieren, sofern die feindliche RNA nicht bis dahin zerstört wurde. So übertragen sich Bruchstücke des Fremdgenoms in die körpereigene DNA. Der Prozess wiederholt sich im Körper bis entweder alle Viren oder Zellen tot sind, oder der Organismus vollständig mutiert ist.
Hierfür kommen nur humanpathogene Viren in Frage, die entweder den heutigen Viren unbekannt sind, ähnlich den bekannten Viren ist, oder eine Mutante eines bekannten Virus darstellt.
Der potentiellen Gentransfer-Vektor müsste ziemlich sicher ein Virus sein, da sich Pilze und Bakterien nicht eignen.
Woher könnte also ein solcher Virus stammen?
Es wird definitiv kein Tier-Virus gewesen sein, der wie HIV auf den Menschen überging, denn sonst müsste es vampirische Lebewesen geben. Das träfe nur auf die Vampirfledermäuse zu. Sie leben in Amerika und lassen durch ihre einzige Nahrung Blut und ihre daran angepasste kurze Speiseröhre und den schlauchförmigen Magen Rückschlüsse auf Vampire zu.
Eine weitere Möglichkeit wäre die Fusion zweier Viren, was ich allerdings für ebenfalls unzutreffend halte, da es keine Viren gibt, welche die einzelnen Eigenschaften beschreiben (Tollwut würde nur die Lichtscheue erklären). Da es also die einzelnen Summanden nicht gibt, kann auch die Summe der Wirkungen nicht zustande kommen.
Des Weiteren kann man nicht davon ausgehen, dass solch ein Virus aus dem Nichts entsteht. Ich postuliere daher, dass es sich um ein Virus handelt, dass wahrscheinlich ziemlich weit verbreitet war. So ist die Wahrscheinlichkeit einer Mutation wesentlich höher. Sollte es ein unbekanntes Virus geben, dass irgendwann mal so stark mutiert ist, hätte es eine deutliche Wirkung in der Geschichte hinterlassen müssen. Außerdem denke ich, dass man nicht davon ausgehen kann, dass wir den Schlüssel für diesen Virus in der heutigen Viren-DNA zu suchen hätten, sondern vielmehr darin, dass der Virus horizontalen Gentransfer im Allgemeinen ermöglicht.
Meine Hypothese wäre, dass der Virus menschliche DNA aufgenommen hat und diese anschließend mutiert ist. Um nur ein Beispiel zu nennen: Wenn der Virus Gene der Reparaturmechanismen aufgenommen hat (z.B. Polymerase), dann würde sobald der Virus eingebaut wird, die Reparatursequenz der Zellen enorm gesteigert. Das würde wahrscheinlich zu einem schnelleren Zellverschleiß führen, was häufigere Teilungsraten notwendig macht, die wiederum eine Bekämpfung des DNA-Abbaus erzwingen. Wie zum Beispiel eine künstliche Erweiterung, der Poly-A-Schwänze, doch das führt zu weit.

Um das Ganze zusammenzufassen: Es ist zwar extrem komplex und würde längerfristige Mutationen (aber ein Vampir hat ja Zeit ^^) erfordern, aber es ist prinzipiell biochemisch nicht unmöglich, dass ein Vampir entsteht, der eine enorme Körperegeneration hat, Blut trinken muss und lichtempfindlicher ist, als andere Lebewesen. Eine Vermehrung über Bisse würde ein Virus voraussetzen, dass ursprünglich menschliche DNA aufgenommen hat, die mutiert ist. Unmöglich je doch sind: Fliegen, in eine Fledermaus verwandeln und die Empfindlichkeit für Kruzifixe.
Fazit: Vampire sind biotechnisch wahrscheinlich möglich! Zumindest sind sie rein rechnerisch wahrscheinlicher, als dass der Mensch durch Evolution entstanden ist - wobei ich natürlich auch davon ausgehe.

So, das soll's gewesen sein.
Im Gegensatz zu eurem Quatsch wäre das wenigstens eine halbwegs wissenschaftliche Erklärung, ihr Nerds!“

Mensch, Thorlaf war ja schon immer ein SciFi-Fan gewesen und dass er gut labern konnte, wusste ich, aber dass er auf einmal solch ein Zeug daher quatschte, war ja einfach unglaublich. Seine Methodik war sogar beinahe wissenschaftlich zu nennen, da er eine Möglichkeit fast systematisch nach der anderen abarbeitete. Andererseits fehlte mir sowohl der Wille als auch die Zeit mich biologisch in diese sinnlose und zeitverschwenderische Fragestellung einzuarbeiten. Schließlich fragte ich mich ja auch nicht, wie man aus Leichen ein Frankensteinmonster erzeugen könnte...

Ich schickte ihm also diplomatisch ein grinsendes Smilie zurück (um ihn für seine Mühe zu belohnen) und machte mich dann weiter daran mein Mikrobiozeug zu bearbeiten. Allerdings konnte ich mich nicht wirklich konzentrieren, denn mir ging ständig die Frage des horizontalen Gentransfers durch den Kopf. Es gab da beispielsweise einen Pilz, der nach dem Prinzip des biotrophen Fusionsparasitismus funktionierte. Er heißt Parasitella parasitica und transferiert seine DNA in andere Pilze hinein, die dann innerhalb dieser Pilze vererbt wird. Das ganze ist ein Alptraum für jeden Evolutionsbiologen, wie mein Professor zu sagen pflege, der ja gerne die Abstammung der Pilze erforschen möchte.
Je mehr ich darüber nachdachte, desto klarer wurde mir, wie krass doch das Leben im Allgemeinen und alleine die genetische Regulation im Speziellen war. Erst letztens hatten wir etwas über Transposons gelernt, das sind Genabschnitte in jeder DNA, die sich selbst raus und wieder rein schneiden kann. Allein 50% unserer DNA sind von Transposons beeinflusst. Ein krasser Gedanke!

Wer hätte ahnen können, dass dieser Tag für mein weiteres Leben und das von Thoralf so entscheidend hätte werden können? Ich werde mich beeilen zu berichten, worin das Wichtige dieses Tages bestand.

Gez. The Runner

1 Kommentar:

  1. Ehrlich gesagt dachte ich nicht, dass mich das so sehr interessieren würde... es klingt eigentlich ja auch albern.
    Aber mal schauen ;)

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