Freitag, 24. Dezember 2010

10. Maria und der Neue

Es ist einige Tage her, seit ich mich gemeldet habe. Ich hatte so gehofft, dass sich nun alles erledigt hätte und ich einen Schlussstrich unter die ganze Sache hätte ziehen können, um sie abzuhaken und so weiter zu machen, wie bisher...
Schließlich bestanden die letzten Tage aus Unikrams und anschließendem Geschenke-Kaufen in den Weihnachtsferien, das zum Glück von absolut gar nichts Spannendem unterbrochen wurde. Also zumindest nichts Spannendes für uns. Johnny kam aber eben zu mir und erzählte mir einiges, was er gestern in einem Gespräch mit Maria, unserer kleinen Schwester, erfahren hatte.

Maria saß gerade auf ihrem Tisch in der Schule und versuchte einige Mathehausaufgaben zu lösen, die dieses Mal echt schwer waren. Ihr Bus kam meistens so, dass sie morgens noch genug Zeit für ein paar Hausaufgaben hatte, aber dieses Mal würde es zeitlich echt eng werden. Einige der Aufgaben waren so kompliziert, dass ihr nicht mal der erste Schritt einfiel. Also starrte sie ihr Mathebuch an und spielte mit dem Stift, während sie über die Aufgaben nachdachte. Wieso war Mathe für sie nur so eine Fremdsprache? Ihre großen Brüder hatten alle wenigstens ein bisschen Verständnis für Mathe. Wenn nur einer von den Jungs gerade da wäre, aber Johnny hatte erst später Schule und die anderen hatten ihr Abi längst in der Tasche. Was sie wohl am Wochenende so gemacht hatten? Sie waren ja bei Oma und Opa zu Besuch gewesen und irgendwie verändert nach Hause gekommen. Natürlich hatten sie vorher schon viel gemeinsam gemacht, aber jetzt hockten sie nur noch beieinander im Zimmer rum und wenn man sie störte, machten sie ganz betroffene Gesichter. Erst heute Morgen war ein seltsames großes Päckchen zu Hause angekommen, dass Eric sofort geholt hatte, eh Mutti auch nur einen Blick reinwerfen konnte. Was da wohl drin sein mochte. Vielleicht planten sie ja ein paar besondere Weihnachtsgeschenke dieses Jahr, obwohl sich Maria das nun wirklich nicht vorstellen konnte, schließlich waren ihre Brüder nun mal keine Mädchen und kauften daher frühestens am 24. Dezember Weihnachtsgeschenke… wenn überhaupt!

Marias Gedankenfluss wurde unterbrochen, als sich die Schultür öffnete und ein fremder Junge ehreinkam. Er war schlank, ziemlich groß, hatte braune verwuschelte Haare und eine Stupsnase. Aus seinem Gesicht blickten tiefblaue Augen und durchsuchten das Klassenzimmer. Eigentlich sah er ja ganz putzig aus, wenn man die etwas altmodischen Klamotten und das in die Hose gestopfte Hemd übersah…
„Hallo!“, sagte Maria, die als einzige in der ersten Reihe saß. „Kann man dir helfen?“, fragte sie.
Der Junge ging auf Maria hin, streckte ihr die Hand entgegen und sagte: „Guten Morgen, ich bin Marc.“ Maria ergriff verwundert die Hand und musterte das Gesicht des fremden Jungen, während sie sich ebenfalls vorstellte: „Maria.“
Der lächelte sie an und fragte: „Bin ich hier richtig in Herrn Müllers Klasse? Ich bin neu in der Stadt, meine Familie ist am Wochenende erst her gezogen.“
„Na dann herzlich willkommen. Du bist hier genau richtig. Wir haben auch gleich schon Mathe bei Müller.“
„Ah das freut mich.“, sagte er ein wenig steif und stand immer noch etwas verloren vor Marias Tisch. Dann fragte er: „Gibt es hier einen Platz, der noch frei ist und auf den ich mich setzen kann?“
Maria überlegte kurz und zeigte dann rechts auf den Tisch hinter ihr. „Da ist noch frei, also setzt dich ruhig hin.“
Marc bedankte sich freundlich, hing seine Jacke an die Garderobe, stellte seinen Rucksack auf seinen neuen Platz und trat dann neben Maria. „Welches Stoffgebiet behandelt ihr denn gerade in Mathematik?“, wollte er wissen und überflog Marias Hausaufgaben, die vor ihr auf dem Tisch lagen.
Maria hatte gar keine Zeit zu Antworten, da nickte er und meinte: „Achso, ihr rechnet Gleichungssysteme!“
Er zeigte auf die dritte Gleichung, die Maria noch nicht umgestellt hatte und erklärte in gönnerhaftem Ton: „Schau hier, du musst das Ganze nach „z“ umstellen und das Ergebnis in die zweite Gleichung einsetzen. Der Rest ist dann ein Kinderspiel.“
Maria war ihm dankbar für die Hilfe, vor allem, weil sie die Aufgaben bis zum Stundenbeginn sonst wahrscheinlich nicht würde lösen können, vor allem nicht richtig… „Ah, danke dir. Du musst wissen, Herr Müller fragt immer die Hausaufgaben ab, und ich will nicht schon wieder dumm dastehen, wenn er mich dran nimmt.“
Marc nickte verstehend und gab ihr anschließend noch ein paar Tipps, so dass sie es gerade bis zum Unterrichtklingeln mit allen Aufgaben geschafft hatten, sogar inklusive Probe.
Während Maria schnell noch die Ergebnisse doppelt unterstrich stürmten auch die letzten Klassenkameraden auf den letzten Drücker noch ins Zimmer, bevor Herr Müller hereinkam, sodass sich Marc schnell auf seinen neuen Platz setzte. Nach der allmorgendlichen Begrüßung begann dann auch schon der Unterricht.
„Ah, der Neue ist da.“, erzählte Herr Müller mehr sich selbst als den anderen. „Habe schon gehört, dass du jetzt in unserer Stadt wohnst Marc Blakwathar.“

„Blackwater…“, erklärte Marc mit englischem Akzent „… Das ist ein englischer Name.“
Herr Müller zogen die Augenbrauen nach oben, dann meinte er verärgert. „Aha, na dann begrüßen wir eben Herr Blackwater.“
Er holte tief Luft und fuhr dann fort: „So Leute, wollen wir doch mal sehen, was Herr Blackwater so auf seiner alten Schule gelernt hat…“
Und in den nächsten fünf Minuten packte Herr Müller alle möglichen Kopfrechenaufgaben aus, die ihm gerade so in den Sinn kamen, von Quadraten bis Logarithmen – was ist das eigentlich? – ließ er dabei nichts aus, bis ihm schließlich keine neuen Aufgaben mehr einfielen.

Denn Marc löste alle Aufgaben mit Bravur, und dass, obwohl Maria nicht mal alle Fragen verstanden hatte. Herr Müller war ganz verwundert und begeistert zugleich, auch wenn er Marc nun nicht hatte vorführen können: „Leute, da habt ihr echt einen super Zugang bekommen. Endlich mal ein Licht, im Dunkel dieser Klasse…“
Die weitere Doppelstunde verlief ohne besondere Vorkommnisse. Mathe war so öde, wie immer und Maria fragte sich, welche Weihnachtsgeschenke sie wohl ihrer Familie machen könnte. Irgendwas von Playmobil für Yoda, das war immer einfach, dann was zum Rätseln für Ma und irgendwas zum Essen für Pa, aber sonst?
Fünf Geschenkideen später war die Unterrichtsstunde dann auch schon um und alle packten ihre Brotdosen für die Frühstückspause aus und zogen ihre Jacken an. Es war eiskalt, aber immerhin lag Schnee und das hieß es würden bestimmt wieder ein paar Elfer versuchen die Lehrer abzuschießen…
„Wo müssen wir denn als nächstes hin?“, fragte Marc und gesellte sich zu Maria. „Wir haben doch jetzt Frühstückspause, wusstest du das nicht?“, hakte Maria nach und kramte ebenfalls ihre Brotdose hervor.

„Achso…“, stellte Marc fest und zog seine Jacke an. Er wartete bis auch Maria Jacke und Handschuhe angezogen hatte und ging dann zusammen mit ihr nach draußen auf den Hof. Eigentlich hätte Maria die Pause ja mit ihren Freundinnen verbracht, aber Marc war schließlich neu hier und brauchte etwas Gesellschaft. Außerdem, wenn ein so süßer Junge sich schon mal mit ihr unterhielt, warum sollte sie die Gelegenheit dann nicht ergreifen und ein bisschen mit ihm plaudern?
„Wo kommst du eigentlich her?“, fragte Maria, formte einen Schneeball und warf ihn wieder auf den Boden, da es ja verboten war Schneebälle zu schmeißen…
Marc ging darauf ein und erklärte: „Aus Hamburg. Mein Vater hat da beim Max Planck Institut gearbeitet und die Forschungsgruppe ist hierher gewechselt.“
„Ah. Also ist dein Dad auch nen Wissenschaftler. Und was ist mit deiner Mum?“, fragte Maria weiter, auch wenn sie sich im Moment nicht so sicher war, ob er nicht schon was über sie erzählt hatte.
„Ja, die ist natürlich mitgekommen. Wir wohnen ein wenig außerhalb der Stadt. Und wie ist es bei dir? Hast du Geschwister?“, hakte er neugierig nach.

Auf eine gewisse Art war Marc ihr echt sympathisch, auch wenn er irgendwie den Eindruck machte nicht hierher zu gehören. Ständig blickte er sich mit seinen schönen Augen suchend um und sein Körper war ständig in Bewegung. Er rieb sich die Hände oder wippte mit dem Fuß, selbst, als sie einfach nur neben der, vom Schnee befreiten, Tischtennisplatte standen und den Kleinen beim Tischtennisspeilen zuschauten. Irgendwie hatte Marc auch eine komische Aussprache und betonte die Wörter teils so eigenartig, dass sie schon zu perfekt ausgesprochen wurden. So als ob einer krampfhaft Hochdeutsch sprach, der eigentlich gar kein Deutscher war…
Doch Marc hatte sie ja etwas über ihre Geschwister gefragt und so konnte Maria sich nicht weiter auf solche Details fokussieren: „Es wird ne Weile dauern, bis ich alle aufgezählt habe. Wir sind nämlich sieben. Meine Ellis und noch vier Geschwister.“

Marc lächelte und seine Neugier schien ungebrochen: „Hast du etwa auch große Brüder. Ich meinerseits habe mir immer große Geschwister gewünscht als Einzelkind. Jemand der dir Ratschläge geben kann und der dich beschützt, wenn du Probleme kriegst.“
Maria ließ ihren Blick über den Schulhof wandern, dann meinte sie: „Ja, sogar drei große Brüder. Johnny, Eric und Dave. Johnny geht sogar hier auf die Schule, aber wie ich gerade gemerkt habe, ist er im Moment nicht auf dem Pausenhof. Also brauche ich keine Angst haben, dass mich hier einer ärgert, denn Johnny ist echt groß und sportlich. Naja und Eric, der arbeitet als Informatiker, hat vor kurzem Abi gemacht und Dave studiert Bio hier in der Stadt.“
Marc verlagerte sein Gewicht ständig von einem Bein auf das andere, so als wäre ihm kalt. Er schien ebenfalls nach Johnny Ausschau zu halten. Dann sprach er weiter: „Soso, Biologie. Das ist wirklich ein interessantes Fach. Vor allem die Genetik. In welche Richtung schreibt Dave denn seine Diplomarbeit. In Mikrobiologie vielleicht?“
Maria zuckte die Achseln: „Das weiß ich doch nicht. Außerdem studiert er erst ein paar Semester. Der schreibt also noch lange keine Diplomarbeit.“
Marc schien etwas verwirrt zu sein: „das heißt also, ihr seid alle alterstechnisch nahe beieinander. Dachte jetzt, dass Dave schon älter wäre… Das ist aber auch nicht von Relevanz. Erzähl mir doch noch ein bisschen was von deiner Familie.“
„Nun ich habe noch nen kleinen Bruder, der ist in der Vierten und dann noch meine Eltern. Pa arbeitet ebenfalls als Wissenschaftler, aber an der Uni. Ma bleibt zuhause und kümmert sich um den Haushalt. Da fällt viel an bei fünf Kindern.“
Marc nickte und lenkte dann das Gespräch in Richtung Schule. Er fragte ein paar Sachen über die Klassenkameraden, die Lehrer und die Klassenräume und so entschloss sich Maria ihm das Schulhaus von innen zu zeigen.

Also führte sie Marc durch das Gebäude während sie ihr Pausenbrot aß. Beide unterhielten sich noch weiter, bis die Pausenglocke schlug und die nächste Stunde weiter ging.

Jetzt hatten sie Chemie und Marc setzte sich auf einen freien Platz in der Ecke, so dass sich Maria nicht weiter mit ihm unterhalten konnte. Dafür aber saßen Larissa und Lisa neben ihr, so dass sie von der Chemiestunde nicht viel mit bekam. Ihre beiden Freundinnen waren nämlich die ganze Zeit damit beschäftigt den Neuen zu analysieren und einzuschätzen. „Boah, ist der süß!“, meinte Larissa und Lisa wollte alles haargenau wissen, was Marc ihr so erzählt hatte. Unzweifelhaft war Maria also wohl nicht die einzige, der der schlaksige Junge gefiel…
Treu erzählte Maria ihnen alles, was sie wissen wollten, sofern der Unterricht es ihr ermöglichte.
Schleppend zog sich so der ganze Tag, bis auch die letzte Stunde beendet war und Maria endlich nach Hause könnte. Schule war gerade irgendwie „gar nicht mal so geil“, wie Johnny sagen würde.
Marc verabschiedete sich von Maria, die am Schultor auf ihren Bruder Johnny wartete, und ging dann in Richtung Straßenbahnhaltestelle. Maria wartete noch circa fünf Minuten, dann kam Johnny und die beiden fuhren gemeinsam mit dem Bus nach Hause. Unterwegs unterhielten sie sich über den Tag und die neue Vampire Diaries Folge, die gestern Abend im Fernsehen gekommen war. Unzweifelhaft hatte Johnny einige Probleme mit der Logik der Vampirdarstellung, was Maria aber nicht wirklich interessierte. Sie hörte Johnny meistens still zu, während sie ihre Gedanken schweifen ließ und über Marc nachdachte, auch wenn sie ihn Johnny gegenüber mit keinem Wort erwähnte. Seit wann gingen ihre Brüder denn Jungs an, die sie interessierten? …

Es war etwa drei Tage später, als Herr Müller für den nächsten Morgen einen Test ankündigte. Maria stöhnte leise und legte den Kopf in die Hände. „Gleichungssysteme!“ stöhnte sie und bekam ein heftiges, ebenfalls entrüstetes Nicken von ihrer Banknachbarin. Herr Müller tat so, als hätte er die Begeisterung seiner Klasse nicht weiter bemerkt und zog die Stunde mit einem Tempo durch, dass spätestens jetzt auch die Zweier-Schüler Angst vor der Leistungskontrolle bekamen. Man verstand einfach gar nichts mehr, von dem was man vorher sowieso nur halb gerafft hatte.
Völlig fertig blieb Maria nach der Stunde sitzen und vermerkte sich erst einmal: „Eric um Hilfe bitten!!!“, in ihrem Hausaufgabenheft, um heute Nachmittag auch ja noch einmal zu üben.

Sie hatte gerade drei dicke Ausrufezeichen hinter die Notiz gesetzt, da spürte sie eine sanfte Hand auf ihrer Schulter. Etwas überrascht drehte sie sich um und sah Marc in die tiefblauen Augen.
„Was hältst du davon, wenn ich mit dir heute Nachmittag ein wenig übe? Wir kriegen das schon hin.“, sagte er und nahm sein Hand wieder zurück.
Maria wurde ein wenig schummerig bei der Aussicht, den Nachmittag mit Marc verbringen zu können. „Wo denn?“, fragte sie schüchtern.
„Mein Vater ist leider körperlich in einer ungünstigen Verfassung. Also vielleicht hier? Oder bei dir zuhause?“, schlug er vor.
Maria dachte einen Moment nach: „Na, ich habe keine Lust den ganzen Tag in diesem Gefängnis von Schule zu verbringen. Ich würde vorschlagen du fährst mit mir im Bus zu mir aufs Dorf und wir lernen da. Da können wir auch meinen Bruder Eric fragen, wegen den Aufgaben und du wolltest bestimmt schon immer mal mit Dave über Bio quatschen, so neugierig wie du da bist.“
Marc lächelte ein bisschen schüchtern, nickte dann aber und meinte: „Nun denn, so machen wir das am besten.“
Maria schaute auf die Uhr, packte schnell ihre Sachen zusammen und sagte: „Du, es ist schon spät. Ich muss los zu Reli und du zu Ethik. Wir sehen uns danach dann vorne an der Bushaltestelle.“
„So sei es!“, sagte Marc lächelnd und verließ mit seinem Rucksack den Klassenraum.

Von Reli bekam Maria nichts mit. Sie war die ganze Zeit damit beschäftigt, was sie eigentlich davon halten sollte, dass Marc mit ihr nach Hause kam. Natürlich war er süß, aber war sie etwa schon so verknallt in ihn, dass sie keine Gelegenheit auslassen konnte, sich mit ihm zu treffen? Ging das nicht etwas schnell, dafür dass sie den außergewöhnlichen Jungen noch gar nicht kannte? Aber andererseits war er auch einfach nur viel zu süß…

Reli ging schnell vorbei und Maria stapfte durch den Schnee zur Bushaltestelle, wo Marc schon auf sie wartete. Eigentlich mochte Maria den Schnee wirklich, aber es war schon seit Wochen permanent bewölkt und daher waren selbst die kurzen Tage so düster, dass man fast melancholisch werden konnte. Marc hatte die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, um nichts von dem Schnee abzukriegen, den der Wind durch die Straßen peitschte. Lächelnd empfing er Maria und erklärte ihr begeistert, was sie heute in Philosophie behandelt hatten: „Wenn du mit einem anderen kenterst und ihr habt nur ein Brett, das nur einen von euch tragen kann. Darfst du dann den anderen davon runter werfen, um selbst zu überleben, sofern du stark genug bist? Darf dich dann irgendjemand verurteilen, für das was du getan hast?“
Maria war gedanklich eigentlich wo anders, aber sie ließ sich auf das Gedankenexperiment ein: „Nun, das ist nicht gerade meine Lebenswirklichkeit, aber gesetzt den Fall, ich denke es würde davon abhängen wer der andere ist…“

Der Bus kam und so schwieg das Gespräch einen Moment, während beide einstiegen und ihre Schülerausweise vorzeigten. Erst als sie sich nebeneinander gesetzt hatten, antwortete Marc: „Ja, das haben wir auch besprochen. Wie wäre es zum Beispiel du hast einen Alten oder Kranken dort. Oder ein Kind. Oder gar den Papst. Oder, wie wäre es, wenn das jemand aus deiner Familie wäre.“
Maria runzelte die Stirn. Ihr gefiel die Vorstellung nicht wirklich. „Also, wenn du denkst, dass wir in unserer Familie kämpfen würden, wer auf das Brett darf, da liegst du sicherlich falsch. Ich glaube, wir würden eher aushandeln, wer die besseren Chancen hat, zu überleben. Zeit zum Schwimmen hätten wir j“

Marc schien aus philosophischer Sicht nicht ganz mit Marias Antwort zufrieden und schloss von da an, das Thema Familie aus der Diskussion aus. Immerhin konnten sich beide auf der Busfahrt darauf einigen, dass sie wohl kaum einen Mörder auf dem Brett lassen würden, wenn sie die Wahl hätten…

Zuhause angekommen, gingen Maria und Marc gleich rauf ins Marias Zimmer, um sich mit den Übungsaufgaben für Mathe an den Schreibtisch zu setzen. „Sag mal, ist eigentlich keiner aus deiner Familie zuhause? Stellt man nicht seine Gäste vor, so wie man das bei uns in der Heimat täte?“, fragte Marc.

Maria fand die Frage seltsam. Kam Marc etwa aus adeligem Hause, wo man dem Pförtner jeden Besuch anzumelden hatte. Also schüttelte sie den Kopf und erklärte: „Keine Ahnung, wer alles da ist. Ma habe ich nicht gesehen, sie wird also wohl schwimmen gefahren sein. Pa ist arbeiten; und meine Brüdern haben noch Schule beziehungsweise Uni oder Arbeit. Außerdem kann ich doch mitbringen, wen ich will.“

„Ist in Ordnung…“, murmelte Marc und stand dann auf „…ich muss mal wohin. Wo ist denn bei euch der Männerraum?“
Maria lachte über die Ausdrucksweise: „Du meinst das Klo. Sei nicht immer so vornehm. Du musst nur bei mir raus und dann ist es die erste rechts von der Tür zur Treppe. Oder alternativ die zweite, wir haben hier zwei Bäder.“

Marc nickte und verließ das Zimmer. Maria schaute sich derweilen schon einmal die Aufgaben an, auch wenn sie nicht annähernd verstand, worum es dabei ging. Irgendwann hörte man die Klospülung, das Waschbecken und bald stand Marc wieder im Zimmer. Er sah ein wenig fremd aus und schaute ein wenig gestresst aus.

„Lass uns anfangen!“, meinte Marc und setzte sich neben Maria auf einen Stuhl. Beim Hinsetzten verschob sich sein Pullover ein wenig und Maria sah, dass er eine seltsame Handytasche am Gürtel trug. „Oh, was hast du denn eigentlich für ein Handy?“, fragte Maria und streckte die Hand aus.
Marc schob nervös den Pullover wieder runter, wobei der Gegenstand in der Tasche metallisch glänzte. Marc meinte ein wenig stotternd: „Och, das ist gar kein richtiges Handy. Eher, ähm…, ein Feuerzeug.“
Maria war erstaunt: „Ein Feuerzeug. Rauchst du etwa? Und warum sieht das Feuerzeug denn aus wie ein Butterfly Messer. Ich wusste gar nicht, dass es sowas gibt.“
Marc wirkte eingeschüchtert: „Ja, es ist ein Geschenk meines Opas. Es ist ein Feuerzeug in genau der Form eines Butterfly-Messers. Aber, woher kennst du denn sowas? Sollten nicht Mädchen eigentlich von Waffen keine Ahnung haben?“
Maria zuckte die Achseln: „Ach, Johnny liest diese Waffenzeitschriften aus den USA und lässt die manchmal auf dem Klo rumliegen. Die schaue ich mir dann an, wenn mir mal langweilig ist.“

„Ach so. Naja, lass uns anfangen.“, wiederholte Marc seine Aufforderung und schrieb die erste Aufgabe auf ein Schmierblatt.
Dann fragte er Maria: „Und hast du irgendeine Ahnung, wie man das hier lösen kann?“
Maria zuckte mit den Achseln und ließ es sich von Marc erklären. Sie hatte noch nicht einmal das Endergebnis aufgeschrieben, da klopfte es an der Tür und Johnny kam herein.
„Hallo…“, warf er in den Raum und winkte dann Maria zu sich: „Schwesterlein, kommst du mal. Ich muss dich mal was fragen.“
„Ja, klar. Dauert bestimmt nicht lange, Marc.“, sagte sie und verließ das Zimmer.
Johnny führte sie in sein Zimmer im Dachgeschoss und meinte dann: „Wer ist der Junge dort? Sag mal, bist du etwa verknallt in ihn?“

Maria schaute ihren Bruder fassungslos an: „Sag mal, Johnny, bist du total bescheuert. Das geht dich überhaupt nichts an! Und übrigens ist das Marc aus meiner Klasse. Er hat mir angeboten, für den Test morgen mit mir zu lernen.“
Johnny zog die Augenbrauen nach oben: „Ach so, ihr lernt also nur? Ich kann dir nur raten, sag deinen Eltern Bescheid, bevor du einen wildfremden Jungen in dein Zimmer schleppst.“
Maria wurde sauer: „Misch dich nicht ein! Ich werde jetzt wieder runter gehen und weiter mit Marc lernen. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ich werde dir nachher mehr erzählen, wenn du mich für die nächsten Stunden in Ruhe mit ihm lernen lässt.“

„Na gut.“, nickte Johnny und ließ sie gehen.
Maria schloss wütend Johnnys Tür hinter sich und ging hinunter zu Marc. Vielleicht sollte sie nicht so offen mit Johnny sein, sonst käme er noch auf die Idee, dass sie ihm wirklich alles erzählen müsste.

Als Maria ihr Zimmer betrat, hatte Marc gerade ein Handy am Ohr: „Ist in Ordnung, ich komme.“, sagte er und legte auf.
Bedauernd schaute er Maria an. „Es tut mir leid, aber mein Vater hat angerufen und braucht dringend Medizin bei der einen Apotheke in der Stadtmitte, die in einer Stunde zu macht. Es tut mir wirklich leid. Wenn du nicht weiter kommst bei den Aufgaben, dann schreibe mir ne Email und ich erkläre dir das heute Abend am Telefon. Aber ich muss wirklich los. Machs gut, Maria.“, sagte er und stürmte ohne ein weiteres Wort aus dem Zimmer, zog sich im Erdgeschoss die Schuhe an und verließ das Haus.

„Na super!“, murmelte Maria vor sich hin und setzte sich über das Mathebuch, aber die Zahlen waren ihr heute nicht freundlich gesinnt und hatten keine Lust, sich mit ihr so zu unterhalten, dass sie es verstehen konnte. Aber es dauerte auch gar nicht lange, da stand Johnny in der Tür: „Na, Marc ist ja schon weg. Mann, mach dir keine Sorgen wegen Mathe ich helfe dir. Aber danach erzählst du mir alles über diesen Marc, ich bin echt gespannt.“

„Na gut.“, seufzte Maria und begann mit Johnny die Aufgaben durchzurechnen…

Johnny erfuhr nach den Aufgaben, wie Maria Marc kennen gelernt hatte und kam am nächsten Tag zu mir, um mir das Ganze zu erzählen. Tja, unsere kleine Schwester hat wohl bald einen Freund, könnte man denken. Wäre auch so gewesen, hätte Marias Klassenlehrerin nicht heute Morgen erzählt, dass Marcs Familie gestern wegen der Krankheit von Marcs Vater nach Paris abreisen mussten, um ihn dort wegen dessen seltener Krankheit zu behandeln. Maria war natürlich ziemlich überrascht und aufgelöst, aber Johnny hat es ganz gut geschafft sie zu trösten…
Nun, warum erzähle ich diese Episode aus unserem Leben? Das hat mehrere Gründe. Zum einen gibt es natürlich einiges, was mir an diesem Marc verdächtig vorkommt – was das ist, brauche ich nicht genauer zu erläutern. Zum anderen aber zeigt es sehr deutlich, wie es Eric, Johnny und mir seit unseren Erlebnissen geht: In allem sehen wir eine potentielle Bedrohung und können doch nicht abschätzen, wie real das Ganze ist.
Gibt es noch mehr Vampire da draußen? Wahrscheinlich!
Sind wir für sie interessant? Wir wissen es nicht!
Alles, was uns übrig bleibt, ist die Augen offen zu halten und so weiter zu leben, als wäre nichts passiert. Die Zukunft wird zeigen, ob Johnny mit seiner Vermutung recht hat, das Marc möglicherweise in der Sache mit drin gesteckt hat (was hieße, dass er wegen Johnnys Misstrauen abgehauen wäre), oder nicht. Aber zum Glück ist er erst mal weg und es spricht gerade nichts dafür, dass wir irgendeine Bedrohung zu erwarten hätten…

Ich hoffe, wir sprechen uns wieder.

Beste Grüße,
The Runner

Donnerstag, 9. Dezember 2010

9. Wieder daheim

Was würdet ihr tun, nachdem ihr in Folge eines solchen Erlebnisses zu Hause angekommen seid? Natürlich muss man das ganze irgendwie verarbeiten und sich damit beschäftigen, was wohl die Zukunft bringen wird. Ich möchte gar nicht vorwegnehmen, sondern der Reihe nach erzählen, was am Abend so passiert ist.

Als wir vor dem Haus auf dem Parkplatz standen, kam uns unsere Mutter auch schon entgegen. Sie hatte Schnee geschippt und begrüßte uns herzlich: „Oh, euch ist nichts passiert. Ich hatte schon so Angst um euch. Habe im Radio gehört, dass es Stau gab. Ja, stellt euch vor, es ist sogar ein Autounfall auf eurer Strecke passiert. Etwa 10 km von Oma und Opa entfernt ist ein Auto direkt über die Leitplanke geflogen und hat sich überschlagen. Das ganze Auto ist sogar explodiert. Habt ihr davon was mitbekommen?“
Es war nur so aus ihr hinaus gesprudelt. Wir umarmten sie und versuchten sie zu beruhigen: „Nee, das muss wohl nach uns passiert sein. Wir haben nichts mitbekommen und sind gut hierher gekommen!“

Wir luden unser Auto aus und begrüßten unsere Schwester und den kleinen Bruder. Unser Vater saß im Arbeitszimmer, wo auch er uns freudig begrüßte. Wir ließen die Begrüßung über uns ergehen und trafen uns dann in Johnnys Zimmer unter dem Dach.
So, was machen wir jetzt?“, fragte Johnny und blickte fragend in die Runde.
Naja, also wir erzählen natürlich keinem was passiert ist. Und außerdem müssen wir wachsam sein!“, meinte Eric.
Ich schloss mich ihm an: „Wir müssen uns trotzdem auf den Worst Case vorbereiten, dass es noch nicht vorbei ist. Ich werde jedenfalls als erstes im Internet recherchieren, was mit Eric passiert. Außerdem werde ich morgne bei der Apotheke Teststreifen besorgen, um deine Blutwerte zu messen.“
Johnny stimmte zu. Doch natürlich gingen seine Überlegungen auch in eine andere Richtung: „Wir werden uns bewaffnen müssen! Wie wir wissen sind Vampire wirklich schneller und stärker, als wir gedacht hatten. Jeder von euch wird von nun an ein starkes Taschenmesser in der Tasche tragen. Und hier im Haus müssen wir alle möglichen Vorbereitungen treffen. Bei Aldi gibt’s gerade für 3 Euro Fensteralarmanlagen, die sollten wir in unseren Schlafzimmern anbringen. Außerdem brauchen wir Waffen und müssen üben. Eric du holst deinen Bogen raus und wir brauchen Pflöcke und Nahkampfwaffen.“
Johnny hatte recht. Wir mussten uns verteidigen können. Ich pflichtete ihm bei: „Ich habe ja noch drei Schwerter auf dem Schrank. Die sind zwar nicht aus 1000ender Stahl, aber immerhin aus Messerstahl. Zwei sind schon scharf und das Dritte werde ich schleifen. Die sind sicherlich nicht zum Schwertkampf geeignet, aber als Waffe müssten sie funktionieren. Jeder von uns kriegt eins in sein Zimmer.“
Ich werde mir mal die Website anschauen, auf der Thoralf gepostet hat. Mal sehen, ob man da was machen kann und vielleicht an eine Adresse kommt.“, meinte Eric.
Vielleicht hatte er eine Chance, schließlich hatte er erst letztens ein Onlinegame fast lahm gelegt, in dem er sich auf Platz 1 gecheatet hatte. Ich nickte und erinnerte mich daran, dass es ja eine Antwort auf den Post von Thoralf gab. „Und ich lese mir nochmal das Kommentar durch, was Thoralfs Post beantwortet und werde versuchen das wissenschaftlich zu analysieren. Es wurde ja nach der Sperre gepostet und hat sicherlich was mit dem Fall zu tun.“
Eric öffnete auch schon den Link auf seinem Computer, den ich ihm über Skype geschickt hatte. „Ja, der Post hat ein älteres Datum. Ich hacke mich jetzt rein, wenn das geht. Johnny du schärfst in der Zeit das schwarze Ninjaschwert, das Dave gekauft hat. Dave, lies es dir nochmal durch und erzähl uns dann, was dran ist.“, forderte Eric mich auf.
Wir waren einverstanden und trennten uns. Ich holte Johnny die drei Schwerter vom Schrank, es waren ein Nijaschwert, ein Katana und ein asiatisches Kurzschwert. Ich entschied mich für das Kurzschwert, während Johnny natürlich das Katana haben wollte. Anschließend nahm er die drei Schwerter, holte einen Schleifstein aus der Werkstatt und ging in die Garage um die Schwerter zu schleifen.
Ich setzte mich an meinen Rechner und rief die Videoseite auf. Nachdem ich den Post kurz überflogen hatte, war mir klar, dass ich etwas recherchieren musste. Das tat ich dann auch und so stellte sich bald heraus, dass der Lambda-Phage völlig ungeeignet für diese Betrachtungen war, da er sowieso ein Virus war, der Bakterien infiziert. Wie ich meinen Brüdern schon erzählt hatte, muss man aber von einem fast willkürlichen humanpathogenen Virus ausgehen, dass Gentransfer betreibt. Welcher das im Speziellen sein könnte, war damit egal. Ich googelte verschiedene Begriffe wie „Vampire, „Evolution“, „Virus“ und „Wissenschaft“ und kam bald zu dem Schluss, dass es wirklich keine seriösen Seiten gab, die sich wissenschaftlich mit dem Thema befassten. Alle seriösen Nachrichten redeten das Thema schlecht, während nur irgendwelche Aberglaubeseiten die Vampirthesen mit meist falschen Berichten belegten, gleich neben Geistern, Zwergen und Gespenstern...
Na, toll, das kann man also alles vergessen! Was hilft es mir, wenn da irgendein verrückter Soziologe irgendwelche Psychopathen interviewt, die denken, Vampire zu sein? Wir wussten ja nun, dass es Vampire gab, aber es war ja nur logisch, dass es kein solches Wesen wagen würde an die Öffentlichkeit zu gehen. Erstens aus eigener Sicherheit vor Verfolgung und zweitens würden die Artgenossen das wohl kaum dulden! Sonst würden Thoralf und ich wohl kaum so enorm verfolgt werden, kaum dass wir etwas veröffentlichten, das halbwegs wissenschaftlich für den Laien klang.
Sowohl den Post als auch die wissenschaftlichen Internetquellen könnte man also vergessen. Wahrscheinlich hatte da nur jemand versucht mit sinnverkehrten Argumenten Thoralfs Gedanken zu widerlegen. Das brachte mich nicht weiter. Dann landete ich plötzlich auf einer Seite von Spiegel online: 
 
Dort wurde vorgerechnet, dass alle Menschen im Mittelalter innerhalb von 2,5 Jahren Vampire geworden seien, wenn jeder Vampir einen Menschen pro Monat biss, der sich verwandelte.
Der Gedanke war interessant. Sollte ein Biss allein infektiös sein, so müsste das exponentielle Wachstum auf kurz oder lang dafür sorgen, dass die Zahl der Vampire gigantisch ist. Ich halte einen Biss jeden Monat für etwas übertrieben. Gehe man davon aus, dass jährlich jedem Vampir ein gebissenes Opfer lebend entkommt, dann ergibt sich die Formel: 
6.500.000.000 Menschen = 2^x
Wie lange dauert es nun bei 2 Vampiren, bis alle Menschen gebissen sind?
Die Rechnung ist: log 6500000000/log 2 und ergibt 32,5 Jahre. In 32,5 Jahren wäre die heutige Bevölkerung komplett zu Vampiren geworden. Auch wenn Vampire heute vielleicht Blutkonserven trinken und ihnen früher nicht so viele Menschen entkommen wären, ist die Theorie aufgrund des exponentiellen Wachstums einfach nicht haltbar. Es ist quasi unmöglich, dass der Biss allein infiziert, da wir sonst Milliarden Vampire hätten. Offensichtlich wird das Virus also nur in der Blutbahn transportiert, ähnlich wie es bei HIV ist. Wie ich schon gesagt hatte, muss eine Vampirverwandlung also ein eher seltenes Ereignis sein, schon allein wegen der Konkurrenz um die Nahrung.

Als mir dies klar wurde, rief sofort Eric und Johnny zu mir und erklärte ihnen, was ich raus gefunden hatte und erklärte dann: „Also, es besteht ziemlich sicher keine Gefahr für dich Eric. Es gäbe keine Menschen mehr, sollte der Biss verwandeln, davon kann man ziemlich sicher ausgehen. Die Vampire kontrollieren die Neuverwandlungen sicherlich extrem.
Daraus ergibt sich auch ein anderer Gedanke. Die Vampire haben sicherlich kein Interesse daran die Menschen auszurotten. Umgekehrt fügen sie der Menschheit in der westlichen Welt keinen gigantischen Schaden zu. Das ganze ist ein bisschen so wie bei Füchsen und Hasen, nur dass die Füchse die Hasen nicht ausrotten wollen. Ebenso wie wir niemals die Schweine ausrotten würden.“
Johnny nickte: „Ja, aber wir versklaven die Schweine. Halten sie in engen Ställen und füttern sie, nur um sie zu schlachten.“
Eric stimmte ihm zu. Man konnte ihm ansehen, dass er doch ziemlich beruhigt darüber war, dass er ziemlich sicher nicht infiziert worden war: „Ja, sicher könnten die Vampire das theoretisch. Aber wo will man denn Milliarden Menschen einsperren? Die Vampire müssten ja dann auch noch arbeiten, um diese zu füttern. Ich denke deine Theorie geht nicht ansatzweise auf. Kann höchstens sein, dass die Vampire in hohen politischen Gremien viel Einfluss haben und die Eliten korrumpiert haben.“
Ja, das wäre durchaus denkbar. Aber dann stellt sich die Frage, ob unser kleiner Vorfall, eventuell in einen viel größeren Hintergrund eingebettet ist. Vielleicht gibt es ja regelrechte Vampirkillerkommandos, die auf Wisser des Geheimnisses angesetzt sind.“
Johnny knackte mit den Fingern und formte die Rechte zu einer Faust: „Sollen sie doch kommen. Ich werde mir jedenfalls jeden Vampirfilm reinziehen den es gibt und mich mit jeder nur erdenklichen Vamirtötungsmasche bekannt machen. Leider jedoch herrscht hier ein striktes Waffenverbot, so dass ich keine Knarre haben darf.“
Und das ist auch gut so!“, warf ich ein. „Schließlich wärst du echt im Eimer, wenn dich die Polizei deswegen erwischt. Vielleicht ist ja die Polizei sogar infiltriert und dann hast du ein echtes Problem!“
Johnny schien mein Argument nur widerwillig einzusehen: „Ja, Mann. Da hast du leider recht. Und was ist mit Armbrust, Bogen, Klappmessern etc.?“
Eric kannte sich mit der Rechtslage am besten aus, also ergriff er das Wort: „Armbrust zählt als Schusswaffe, kann aber als 18 frei erworben werden, ebenso wie Luftgewehr. Transportiert werden dürfen sie nur nach strengen Auflagen. Einhandmesser sind außerhalb des eigenen Grundstücks verboten. Nicht verboten sind Pflöcke und Taschenmesser bis 12 cm Klinge. Meine Empfehlung wäre also eine Stichwaffe, wie zum Beispiel dein Schleifstab, dem man nur noch eine Spitze schmieden müsste. So was kann man in einer Scheide am Gürtel tragen. Außerdem könnte man in seinem Rucksack immer einen spitz zulaufenden Hammer dabei tragen. Man könnte auch noch einen Compoundbogen auseinandergebaut dabei haben, aber mal ehrlich, wie oft kommt man in die Situation, dass man 10 Minuten Zeit hat, das zusammen zu bauen.
Aber wenn ich drüber nachdenke, dann ist der Elektroschocker mein eindeutiger Favorit. Wie die Biologie von Vampiren auch sein mag, ein Schock wird auch sie ne Weile lahm legen, wenn auch vielleicht nicht eine Minute, wie bei Menschen. Ich werde also im Internet paar für uns bestellen. Die gibt es schon ab 30 Euro.“
Johnny wollte sofort gucken, welche Schocker man so im Internet kaufen konnte, aber Eric mahnte ihn zur Geduld: „Jetzt warte doch erst mal. Also ich habe nämlich gerade den Autor von „Kommentare geschlossen“ auf der Website zurückverfolgen können. Das war einer der Admins, den ich über Googeln seines Nicks herausbekommen konnte. Ich habe sowohl seinen Namen, als auch seine Adresse. Mein Plan ist der: Wir Schreiben ihm eine Email von einem nicht zurückverfolgbaren Ort und drohen ihm damit, ebenfalls „vorbeizuschauen“ und ihm noch viel mehr zu tun, als das, was der erste Besucher gemacht hätte, wenn er uns nicht sagt, warum er den Post gelöscht hat.“
Johnyn guckte ein wenig verwirrt aus der Wäsche. „Häh, was hast du vor? Wieso machen wir was viel schlimmeres, als der vorher?“
Eric hatte seine Gönnerstimme drauf, wie immer wenn er etwas erklärte: „Überleg doch mal. Da hat ein Admin ohne Grund einen Post gesperrt, der Grund dafür war, dass Dave umgebracht werden sollte. Das war der Grund, warum man dachte, dass Dave und Thoralf über den Vampirismus ernsthaft forschen würden. Da es äußerst unwahrscheinlich ist, dass einer der Vampire ein Admin auf der Seite ist, mussten unser toter Vampir irgendwie dafür sorgen, dass der Post gelöscht wird. Also wendet er sich an einen Admin und besticht ihn, oder bedroht ihn, falls er den Post nicht löscht, den Thread sperrt und anschließend noch ein Post unseres Vampirs erlaubt. Also drohen wir dem Typen um herauszufinden, wer ihn gezwungen hat, solche irregulären Handlungen durchzuführen.“
Ich verstand, was er meinte, aber seine Theorie hatte einen Haken: „Das stimmt schon. Aber es kann genauso sein, dass sie ihm einfach Geld überwiesen haben. Möglicherweise hat er auch nur eine Email bekommen und mehr nicht.“
Eric kratzte sich am Kinn: „Da hast du recht. Aber trotzdem wird er, egal ob über Email, über Konto oder persönlich Kontaktinformationen über denjenigen haben, der das verursacht hat. Ich habe also eine bessere Idee und drohe ihm mit rechtlichen Schritten oder wahlweise einem „Besuch“, falls er uns nicht sagt, was wir wissen wollen. Wenn wir ihm nur ordentlich Druck machen, dann wird es schon funktionieren. Ich werde also irgendwo einen Emailaccount eröffnen und dann mit ihm Kontakt aufnehmen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir so an Informationen kommen, wer hinter Thoralfs Ermordung und dem Anschlag steckt. Auf die Art und Weise werden wir dann hoffentlich rauskriegen, ob wir immer noch bedroht sind.“
Sounds like a plan.“, meinte Johnny und ermahnte uns abermals vorsichtig im Alltag zu sein. Eric und er würden sich die nächsten Tage krank schreiben lassen und ich sollte so viele Vorlesungen ausfallen lassen wie nur möglich. Damit hatte er wohl recht. Während Johnny sich also damit beschäftigte, würde Eric versuchen hinter das Geheimnis des Anschlages zu kommen. Da blieb nur noch ich übrig. Da kam mir eine Idee: „Also, ich weiß, was ich machen kann. Ich werde die nächsten Tage in die Bibo gehen und mich in das Thema Viren, Vampirglaube und so weiter einarbeiten. Außerdem werde ich versuchen über das Internet möglicherweise Verbündete zu finden, ich weiß auch schon, wie ich das mache...“
Meine Brüder stimmten mir zu und machten sich dann an ihre jeweiligen Aufgaben. Ich versuchte mich abzulenken und ging, um mich mit meinem kleinsten Bruder und meiner Schwester zu unterhalten, da ich heute eh nichts sinnvolles mehr machen könnte und ich brauchte einfach Ruhe und ein bisschen Abstand...

So, nun kennt ihr in etwa unsere Ausgangslage. Ihr habt übrigens auch erfahren, wie ich mich in der nächsten Zeit nennen werde: Dave. Bisher habe ich es gut umgehen können, dass ich einen Namen für mich brauchte und ich fand, dass The Runner in meiner Erzählung etwas seltsam klang, von daher...
Das Wochenende ist nun schon vier Tage her, in denen die Lage im Grunde gleich geblieben ist. Ich werde allerdings noch keine Informationen weitergeben, inwieweit unsere Suche erfolgreich war oder nicht, schließlich gefährde ich damit deren Ausgang. Wünscht uns Glück, dass wir bald wissen, woran wir sind!

Grüße
The Runner alias Dave

Mittwoch, 8. Dezember 2010

8. Auf der Flucht

Ich werde die Chance heute nutzen und euch das Ende unserer Zeit bei meinen Großeltern berichten. Ich habe mich entschlossen von nun an keine Andeutungen mehr darüber zu machen, von wo ich diese Einträge schreiben. Glücklicherweise habe ich den Dicken mit Hut nicht mehr gesehen und kann wohl davon ausgehen, dass er keine Gefahr dargestellt hat. Nun aber weiter zu dem entscheidenden Wochenende bei meinen Großeltern...

Der letzte Tag hatte sich so in meinen Kopf eingebrannt, dass er auch im Schlaf nicht daraus zu entfernen war. Ständig träumte ich von Vampiren und Verfolgung, so dass ich eigentlich dankbar war, als Johnny mich zu meiner Wache weckte. Wir gucken uns den schlafenden Eric an und bemerkten, dass er zum Glück noch gesund aussah. Auch der Druckverband hatte gehalten und er hatte nicht wieder angefangen zu bluten. Johnny legte sich auf die Matratze und versuchte, ob ihn der Schlaf nicht vielleicht doch ereilen würde, während ich mich auf einige Stunden Wache einstellte. Ich wusste noch nicht so ganz, wie ich die nächsten Stunden gut überstehen würde und so ließ ich meinen Gedanken freien Lauf, während ich Fenster und Tür im Auge behielt.
Es gab also zu 100iger Sicherheit Vampire. Soviel stand fest. Ich hatte heute einen gesehen. Er war schmächtiger als ich und vielleicht 10 Zentimeter kleiner gewesen, hatte schwarzes gekämmtes Haar eine große Nase gehabt. Dass es ein Vampir gewesen war hatte, mir der Biss und der unbeschadete Sprung aus dem Fenster eindeutig bewiesen. Natürlich musste man davon ausgehen, dass es nicht nur einen dieser Viecher gab. Schon allein evolutionär war das unmöglich, geschweige denn, dass es diese Mythen überall auf der Erde gab. Wie viele Vampire es wohl geben mochte? Der Biss bei Eric, hatte gezeigt, dass Vampire auch trinken konnten, ohne, dass das Opfer starb. Es werden jährlich über 6000 Menschen in Deutschland vermisst, von denen die allermeisten gefunden werden. Die Zahl von tödlichen Vampirangriffen könnte sich also höchstens bei einigen Hundert belaufen, selbst wenn es noch Dunkelziffern gäbe. Das bedeutet also, dass ein Vampirmord oder die Verwandlung in einen, sofern die Behörden die richtigen zahlen liefern, extrem selten sein mussten. In anderen Ländern wie Südamerika oder unter illegalen Einwanderern oder Obdachlosen könnte dies natürlich öfter der Fall sein. Gehen wir also vom schlechtesten Fall aus, so wird es trotzdem höchstens einige Tausend solcher Fälle in Deutschland geben, was aber unwahrscheinlich ist, da es sonst bekannt werden würde. Ich selbst habe einmal Blut gespendet, eine unangenehme Erfahrung, bei der mir der Arm zerstochen wurde, und weiß daher, dass jährlich über 2 Mio. Blutspenden abgenommen werden, was mindestens 0,5 Mio. Liter Vollblut bedeuten. Diese werden natürlich großteils in den Kliniken verwendet werden. Nehmen wir mal an, dass man 20% der Blutspenden abschleusen könnte, so wären das immer noch 100.000 Liter Blut, von dem sich die Vampire in Deutschland ernähren könnten. Das ließe beim besten Willen keine Vampirpopulation in den Zehntausenden zu! Selbst mit 100 Litern Blut ihm Jahr aus den Spenden und den vermissten Menschen, könnten sich in Deutschland vielleicht 1000 Vampire ernähren, also 0,01 Promille der Bevölkerung.
Ich denke, dass eine so kleine Gruppe durchaus unbemerkt bleiben kann und sicherlich stark kontrolliert, wer ebenfalls verwandelt wird. In Afrika beispielsweise könnten Abertausende der Blutsauger leben, sollten sie die Hitze und das Licht ertragen. Ebenso könnten es Zehntausende in China und Russland sein...
Doch muss man davon ausgehen, dass sie weltweit eine extreme Minderheit darstellen und wohl kaum millionenfach die Erde bevölkern. Da stellte sich mir allerdings die Frage, ob die Menschen dann nicht im Grunde davon wissen müssten? Wir hatten natürlich nur durch glückliche Zufälle die beiden Angriffe überlebt, aber waren wir damit so einzigartig auf der Welt? Musste es nicht noch mehr Menschen wie uns geben? Ich entschloss mich bald im Internet auf die Suche zu gehen...

Als ich meine Brüder morgens weckte, gingen wir als erstes nach draußen, um die Fußabdrücke des Angreifers zu untersuchen. Es war eisekalt, unter 10 Grad im Minus, als wir nach raus gingen. Vor Erics Fenster angekommen, stellte ich überrascht fest: „Hier gibt es gar keine Fußspuren. Wo ist der Spinner den bloß hin verschwunden?“
Johnny und Eric erschienen eben so ratlos und zuckten nur die Schultern. Eric meinte: „Wir müssen jedenfalls packen, damit wir dann nach dem Mittagessen von hier verschwinden können!“
Er hatte recht und so machten wir uns daran unsere Sachen zu packen und anschließend mit unseren Großeltern zu frühstücken. Johnny nutzte die Zeit um noch schnell mein Handy mit einem Klebeband ein Auto aus der Nachbarschaft zu tapen und kam dann nach.
Offensichtlich hatten unsere Großeltern in der Nacht nichts mitbekommen, denn sie waren gut gelaunt wie immer, wenn wir zu Besuch waren. Trotzdem schienen sie etwas traurig, dass wir jetzt schon fahren wollten, was sie aber natürlich verstanden, da uns am nächsten Tag die Schule beziehungsweise die Uni erwartete.

Wir verabschiedeten uns herzlich und ermahnten sie, uns anzurufen, falls sie wegen der Eisesglätte hinfallen sollten oder so, damit wir an sie denken konnten. Oma und Opa wirkten etwas überrascht, willigten aber ein und so saßen wir schon bald in dem gepackten Wagen und winkten unseren Großeltern zu, während Eric den Motor startete. Ihm schien es heute immer noch gut zu gehen und er hatte darauf bestanden, fahren zu dürfen, auch wenn mir nicht wirklich wohl bei der Sache war. Schließlich könnte es ja sein, dass er während dem Fahren plötzlich irgendwelche Symptome zeigte! Also setzte ich mich neben ihn, um im Notfall das Lenkrad übernehmen zu können, aber das verschwieg ich ihm natürlich.
Eric war der bessere Fahrer von uns beiden und dass er am Steuer saß, war auch ganz gut, wie sich herausstellen sollte. Johnny und ich unterhielten uns gerade darüber, wie wir herausbekommen konnten, ob uns Gefahr in unserem Heimatort drohte, da unterbrach uns Eric: „Hey, Leute. Guckt mal der dicke Audi hinter uns. Der fährt uns schon eine ganze Weile nach, aber im Moment beschleunigt er echt extrem!“
Johnny und ich drehten uns im Sitz um und sahen auf die lange Straße. Die Straßenstrecke zwischen dem Dorf meiner Großeltern und der nächsten Stadt war extrem kurvig. Es gab im Wald nur eine einzige gerade Stelle, an der man richtig beschleunigen konnte, und wenn man dies tat, dann hob man an einem kleinen Hügel sogar ein wenig von der Straße ab. Wie Eric gesagt hatte, war in einiger Entfernung ein Audi zu sehen, der extrem beschleunigte. Mit großer Geschwindigkeit raste er auf die Erhebung zu, so dass sich seine Reifen einen Moment lang von der Straße lösten und dann erst wieder aufschlugen. Die Straße war etwas glatt aufgrund des Schnees und so geriet der Audi etwas ins Schlingern und musste abbremsen. Er hatte sich gerade wieder gefangen, da schrie Johnny auf einmal überrascht. „Shit, ich werd nicht mehr. Das ist der Vampir von gestern!“
Ich schaute genau hin – und, tatsächlich, er hatte recht. So ein Mist aber auch. „Wenn der uns rammt, sind wir im Eimer!“, meinte ich und dachte an die Billigbauweise unseres Fiats, den wir führen.
Eric stimmte mir zu: „Ja, das stimmt. Wenn der uns rammt, dann ist es aus. Vor allem weil gleich die Kurven anfangen und wir bergauf mit den paar PS nicht ordentlich beschleunigen können!“
Junge, gib Gas!“, rief Johnny, als er sah, dass der Audi wieder beschleunigte.
Wie ein Sturm durchzog es meinen Kopf. Der Killer würde uns gleich rammen und gegen einen Baum schleudern. Was um alles in der Welt, konnten wir nur tun? Meine Hände fingen an zu zittern und Schweiß trat mir aus allen Poren.
Blitzeis!“, sagte Eric und konzentrierte sich darauf, dass er die nächste Kurve trotz hoher Geschwindigkeit gut meistern würde. Die Kurve da vorne hatte fast einen 90 Grad Winkel und war mit Abstand die schärfte auf der ganzen Strecke, wie wir aus unserer Kindheit wussten.
Es dauerte einen Augenblick, bis ich kapierte, was Eric meinte. Dann hob ich meine Wasserflasche auf, drehte den Verschluss auf und schrie zu Johnny: „Mach deine Flasche auf und kippe das Wasser aus dem Fenster!“
Johnny schien zu verstehen und schraubte ebenfalls eine Flasche auf. Eric drückte vorne die Knöpfe zum Fenster öffnen und wir hielten die offenen Falschen aus dem Fenster. Der Wind schnitt eisig in meine Hand und mir wurde ganz übel, als ich daran dachte mit welcher Geschwindigkeit wir gerade auf die Kurve zu fuhren. Ich konnte nicht sehen, ob unser Wasser bei dieser Kälte wirklich zu Eis auf der Straße gefror, aber ich hoffte es inständig.
Mit quietschenden Reifen und einem kleinen Schlenker schnitt Eric die gegenüberliegende Fahrbahn und schaffte es gerade so, nicht aus der Straße zu fliegen. Dann schaltete er in den dritten Gang und gab Vollgas, um schnellstmöglich die Steigung hinter der Kurve zu bewältigen. Der Motor heulte auf und tat sein Bestes. Gebannt starrten Johnny und ich durch die Rückscheibe auf die Kurve. Plötzlich konnte man durch die offenen Fenster ein starkes Quietschen und ein Rumpeln hören, dann hörte man einen Schlag. Kurz darauf flog der Audi mit voller Geschwindigkeit mit der Stoßstange auf die Leitplanke. Es krachte fürchterlich und der Wagen überschlug sich in der Luft, um dann qualmend und rauchend liegen zu bleiben. Ob er in Flammen aufging, oder gar explodierte war für uns nicht mehr zu sehen, denn wir bogen schon um die nächste Kurve...

Yeah, den hats erwischt!“, freute sich Johnny und war ganz aus dem Häuschen.
Mir war da wesentlich mulmiger zu mute. Hatten wir da gerade einen Menschen umgebracht? Was, wenn man uns in Verbindung mit dem Unfall bringen würde?
Doch meine Gedanken wurden im Moment von Erics riskanten und viel zu schnellen Fahrstil unterbrochen. Ich musste ihn zur Mäßigung mahnen: „Jetzt fahr mal etwas vorsichtiger. Der holt uns sicher nicht ein! Wenn wir im nächsten Graben landen, dann hilft uns das sicherlich nichts!“
Johnny pflichtete mir bei uns so fuhr Eric wenigstens ein bisschen langsamer, auch wenn man ihm anmerken konnte, wie angespannt er immer noch war. Johnny und mir ging es ja nicht anders! Wir konnten einfach nicht fassen, dass wir einem weiteren Anschlag entkommen waren und dabei einen Vampir umgebracht hatten. Nichts anderes füllte unsere Gespräche auf der Fahrt nach Hause, die sich aufgrund eines Staus bis zum Abend ausdehnte. Wir rekapitulierten immer wieder, was passiert war und überlegten, ob wir wohl in Zukunft sicher wahren. Wir konnten uns über diesen Punkt nicht einigen, wohl aber darüber, dass wir keinem etwas von unserem Erlebnis berichten konnten - jedenfalls nicht in Bezug auf unsere Personen. Wir versprachen also, nicht zu plaudern und waren uns einig, ein unglaublich verrücktes Wochenende hinter uns zu haben.
Hoffentlich war es nun vorbei und wir wären in Sicherheit, sobald wir zu Hause ankamen. Der Feind war schließlich tot, die Möglichkeit uns zu orten war beseitigt und es gab keinen Grund uns zu verfolgen.
Sicher, wir wussten, dass es Vampire gab, aber das hatte ja nur der Typ gewusst, der jetzt gestorben war. So also kamen wir emotional völlig fertig, aber dafür einigermaßen glücklich und in Sicherheit nach Hause...

Was würdest du denn machen, wenn du in einer solchen Situation gewesen bist?
Würdest du so tun, als wäre nichts passiert und weitermachen wie bisher oder würdest du sofort deine Stadt verlassen und von nun an undercover leben, wohl möglich mit der Wahnidee als van Hellsing auf Vampirjagd zu gehen?
Ich werde demnächst berichten, wie es bei mir weitergeht.
Um es in den Worten von Xardas aus Gothic zu sagen:
Mögest du in einem Stück zurückkehren!“

The Runner

Dienstag, 7. Dezember 2010

7. Eine wirklich lange Nacht

Der Tag heute war wirklich stressig. Immer wieder habe ich die Regale der Bibliothek durchsucht, auf der Suche nach Viren- und Vampirlektüre. Ich habe allerdings heute nichts interessantes finden können. Morgen werde ich mich nochmal umsehen. Dummerweise hatte ich auch noch 2 Vorlesungen, bei denen ich nicht fehlen konnte. Eric geht es bisher gut und ich teste täglich seine Körperfunktionen, aber ich kann keine Veränderung feststellen. Bisher haben wir hier noch nichts verdächtiges bemerkt. Trotzdem werde ich vorsichtig sein, während ich weiterschreibe.

Ich bin nochmal kurz in der Garage.“, meinte Johnny und verließ das Haus. Ich konnte nicht verhindern, dass Angst um ihn in mir aufstieg, also spähte ich immer mal durch das Badezimmerfenster herunter, um
mögliche Feinde sehen zu können.
Nach einigen Minuten kam er zurück ins Haus und ich konnte mich einigermaßen entspannen. Ich wusste nicht, was er in eine Decke gewickelt mitgebracht hatte, und er wollte es auch nicht verraten, aber er verstaute es in unserem gemeinsamen Schlafzimmer. Dort setzten wir uns mit Eric hin, der uns über seine Ergebnisse aufklärte: „Es gibt weltweit mehr als hundert verschiedene Mythen, die in Beziehung zum Vampir stehen. Meistens ist er ein Untoter, aber ich nehme an, dass du als Biostudent, das für Quatsch hältst. Ich übrigens auch. Der Vampirmythos ist übrigens nicht tot. Erst 2005 wurde ein Toter für einen Vampir gehalten und seine Asche von der Bevölkerung getrunken. Es gibt so viele verschiedene Mythen und Geschichten, dass man unmöglich den wahren Kern herausfinden könnte. Ich denke daher, dass man logisch an die Sache herangehen muss. Köpfen und Pfählen sind nämlich die verbreitetsten Tötungsmethoden, ebenso wie verbrennen. Silber und Knoblauch hilft nur wahlweise, ebenso wie Sonnenlicht. Vampire können Tiere werden, welche, ist unterschiedlich, außerdem können sie manchmal fliegen und Wände hochklettern. Aber, ich möchte gar nicht weitermachen, ohne dass du uns mal eine Zusammenfassung gibst, was biologisch gesehen möglich wäre.“
Ich musste einen Moment nachdenken, was Thoralf geschrieben hatte und meine eigenen Gedanken strukturieren, bevor ich anfangen konnte: „Also, wie gesagt müsste es einen Virus geben, der die Gene überträgt. Diese würden dann über Blut oder gar über Speichel übertragen. Möglicherweise können Vampire auch echte Kinder kriegen. Vielleicht sind sie auf Silber, Eisen oder Knoblauch empfindlich. Das könnte an einer anderen Zellstruktur liegen, was aber nicht wahrscheinlich ist, da es im Grunde mutierte Menschen sind. Oder es liegt daran, dass sie Antikörper IG-G dagegen entwickeln, so wie bei einem anaphylaktischen Schock. Rein biologisch gesehen ist es absolut logisch, dass sie nach dem Köpfen oder dem Verbrennen sterben müssen. Ich tippe auch darauf, dass Pfählen wahrscheinlich tödlich ist.
Wenn man davon ausgeht, dass sie Menschen sind, die nur ein paar andere Eigenschaften haben als wir, dann werden sie auch keine Wände hochklettern können, jedenfalls nicht anders als ein menschlicher Kletterer.“
Johnny knackte mit den Fingergelenken und unterbrach mich dann: „Und was ist mit den Zähnen und dem Blut. Komm schon, das will ich wissen!“
Da hatte er eine gute Frage gestellt. „Also, Thoralf meinte, es könnte an einem Eisenmangel liegen oder an der Unfähigkeit Hämoglobin zu produzieren. Ich halte das für eher unwahrscheinlich, denn auch Hämoglobin würde verdaut werden. Nein, es muss einen anderen Grund geben. Alles, was im Blut rum schwimmt, ist absolut lebensnotwendig. Diese Stoffe kommen durch Verdauung ins Blut. Und das wird auch bei einem Vampir so sein. Wieso also sollte jemand etwas trinken müssen, was schon alle nötigen Inhaltsstoffe enthält?“
Eric kratzte sich an der Stirn, dann überlegte er: „Vielleicht, weil er selbst wichtigste Bestandteile nicht selbst bilden kann?“
Ich wollte ihm gerade zustimmen, da schoss mir ein anderer Gedanke durch den Kopf: „Das könnte zwar sein, aber auch die Enzyme etc. würden im Darm zersetzt und verkleinert aufgenommen.
Nein, ich denke, ich habs. Vampiren mangelt es möglicherweise daran, dass sie die Stoffe gar nicht zerkleinern können. Sie haben keine Wahl als schon verdaute und zerlegte Stoffe aufzunehmen. Im Blut wird das meiste in seinen Grundbausteinen transportiert. Nirgendwo sonst kommt man so direkt auf die elementaren Lebensbausteine, wie Aminosäure, einfache Zucker und Fettsäuren.“
Du behauptest also, dass Vampire im Grunde keine Verdauungsenzyme haben und so auf Vorverdauung angewiesen sind?“, fragte Eric verblüfft.
Wenn ich ehrlich bin, dann glaube ich nicht mal, dass alle Verdauungsenzyme auf einmal ausgefallen sind. Viel wahrscheinlicher ist es, dass es an einigen speziellen Enzymen mangelt. Peptidasen könnten zum Beispiel ausgefallen sein, denn Zucker kann man auch in Form von Traubenzucker aufnehmen.“

Johnny spielte gerade gelangweilt mit einem seinem Meißel: „Jetzt komm doch endlich mal zu den Zähnen.“
Ok. Also die Zähne. Da muss man trotzdem vorne anfangen. Angenommen der Verdauungsdefekt war die erste Mutation der Vampire, den das Virus übertrug und den die Vampire in sich hatten, dann werden wahrscheinlich weitere Mutationen gefolgt sein. Schließlich müssten die Kerle es ziemlich schwer in ihrer Anfangsphase gehabt haben. Sie mussten Blut trinken, um zu überleben und und ihr Verdauungssystem war noch gar nicht auf diese Nahrung eingestellt. Es wird also eine hohe Mortalität unter ihnen gegeben haben, was zu einem extremen Selektionsdruck führte. Sicher wurden sie damals auch enorm gejagt. Das führt wiederum sicher zu einer vermehrten Nachtaktivität. Unter diesem Selektionsdruck, der von Flaschenhalseffekten, Gendrift und wahrscheinlich weiterem horizontalem Gentransfer begleitet war, ist wahrscheinlich die Anzahl der vom Virus transportierten Gene gestiegen...“
Ich sah wie Johnny immer gelangweilter wurde und beeilte mich in meiner Erklärung: „Das führte wiederum zu Mutationen, wie durch den Virus verursachte, große Eckzähne, lichtempfindlichere Augen, ein besseres Gehör, eine Affinität zu Blut und und möglicherweise zu Nebeneffekten wie Knoblauch- und Silberintoleranz.“
Eric hatte mir gespannt zugehört, obwohl ich nicht wusste, ob er alles verstanden hatte, Offenbar aber waren meine Grundaussagen bei ihm angekommen: „Wenn ich das richtig verstehe, dann sind diese Wesen in Wirklichkeit degenerierte Menschen, krank sozusagen. Warum aber sollte man sich denn vor Behinderten mehr fürchten als vor irgendwelchen Psychokillern?“
Wie meistens hatte er recht, wenn er etwas logisch durchdachte. Ich schloss die Augen und dachte einen Moment nach, bevor ich fort fuhr: „Naja, die vermehren sich nur über die BILD-Zeitung und nicht über Viren. Aber jetzt mal im Ernst. Das was ich bisher erklärt habe, war wissenschaftlich ziemlich tragbar. Jetzt ist die Frage welche Zusatzmutationen es gab. Eine Gruppe die genetisch so auffällig und so vielen Veränderungen unterworfen war, wie diese frühen Vampire, ist prädestiniert für Mutationen. Die Mythen sind sich ja relativ einig, dass sie über besondere Kräfte verfügen. Möglicherweise führt ja die vermehrte Aminosäureaufnahme zu größerer Körperkraft und Schnellkraft. Wie man aus der Genetik weiß, wird sehr viel durch sogenannte Mastergene und regulative Sequenzen gesteuert. Kommt es dort zu einer Veränderung, hat das unglaublich große Auswirkungen. Thoralf hatte in seinem Kommentar im Internet schon erwähnt, dass das Virus seine eigene DNA in die menschliche einbaut und dann unter schlechten Bedingungen die Zelle zur Virusproduktion bringt und sie so zerstört. Ich weiß aber nicht, ob es wirklich zu einer Zerstörung kommt, oder ob es einen Virusdefekt gibt und die Viren nur unter anderem produziert werden. Daher ist die Frage, ob Vampire insgesamt unsterblich sind, weil sich die Zellen viel öfter zerstören und daher öfter teilen und neu bilden müssen, oder ob sie viel öfter repariert werden. Das hieße dann, dass Vampire wesentlich stärkere Reparaturmechanismen haben müssten, als wir.“

Johnny interessierte das nur wenig. Er wollte nicht das Warum hören, sondern das Was. Er fragte: „Also heißt das, du weißt gar nicht, ob sie sehr starke Selbstheilungskräfte haben? Möglicherweise sind sie ja ebenfalls sterblich, auch wenn sie unter anderen Bedingungen leben. Ich denke jedenfalls, dass sie neben all den von dir beschriebenen Nachteilen auch einige krasse Stärken haben müssen, denn sonst wären sie ja schon längst ausgestorben! Hin oder her, ich rechne mit dem Schlimmsten. Im Gegensatz zu Eric bin ich nämlich davon überzeugt, dass der Typ ein Vampir ist und uns heute Nacht einen Besuch abstatten wird. Mir ist nur noch unklar, wieso du und Thoralf ein Problem darstellen.“
Ich nickte: „Also, wir haben uns ja gar nicht mit dem Problem beschäftigt. Das, was Thorlaf geschrieben hat, war ja nur ein Gag gewesen. Ich kann mir nur vorstellen, dass es eine Verwechslung gegeben hat, oder der Typ nicht gerafft hat, dass wir uns da nur einen Spaß gemacht haben. Doch wenn ich ehrlich bin, dann habe ich noch die Hoffnung, dass wir völlig daneben liegen und alles ganz normal erklärbar ist. Denn mir ist es irgendwie lieber, dass diese Fantasy-Figuren nicht in echt über die Erde wandeln und vorhaben mich zu killen!“
Johnny schien mir nicht ganz zu glauben: „Ist mir egal, ob du recht hast. Wenn der Kerl kommt, dann werde ich mich verteidigen. Da ist es völlig egal ob es ein Vampir oder nur ein Spinner ist.“
Da hatte er wohl recht! Wir beendeten unser Gespräch und schwiegen wieder vor uns hin. Irgendwann wurde mir dann langweilig und ich ging in Opas kleine Bibliothek – er war Biolehrer gewesen – und nahm mir ein Buch über Virologie mit...
Es war schon 12 Uhr in der Nacht und unsere Großeltern waren schon schlafen gegangen. Ich hatte ein wenig in dem Buch geblättert, auch wenn ich mich nicht konzentrieren konnte. Bisher war nichts besonderes passiert und Johnny war extrem genervt. „So, es ist jetzt Mitternacht und dunkel genug. Ich werde mal um das Haus patrouillieren. Macht die Fenster auf, so dass ihr mich im Notfall hören könnt.“
Das war eine gefährliche Idee! Ich konnte ihn nicht einfach gehen lassen: „Du gehst gefälligst nicht alleine! Ich komme mit!“
Johnny stimmte mir zu und so nahmen wir unsere Waffen, ich suchte noch ein scharfes Küchenmesser heraus, und dann zogen wir unsere Jacken an.
Wenn du raus willst, dann musst du damit rechnen, dass der Vampir dich riechen kann.“, erklärte Johnny bevor wir das Haus verließen.
Mh, wir könnten uns mit Blumenerde einreiben. Schließlich macht man das auch, wenn man sich Tieren nähert.“
Johnny pflichtete mir bei und wir gingen ins Wohnzimmer, um uns aus einem der Blumentöpfe zu bedienen. Wir entnahmen eine handvoll Erde und rieben sie auf unsere Hände und auf die Backen.

Sollte uns jemand so draußen durch den Garten schleichen sehen, musste er uns für verrückt halten. Aber war nicht auch die ganze Situation total absurd? Glaubte ich etwa wirklich, dass der heutige Angriff mehr als der Akt eines Spinners war? Hatte ich einfach nur zu viele schlechte Filme gesehen?
Für Johnny war das im Moment überhaupt keine Frage. Wir gingen nach draußen und lehnten die Tür an. Johnny schlich voran und duckte sich hinter jeden Busch, um nicht im Licht der Straßenlaternen gesehen zu werden.“
Wir hatten gerade die Hälfte des Hauses umrundet, da erschien es mir, als hätte ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung gesehen. War da etwa ein Schatten in die Richtung des Wintergartens meine Oma gehuscht?
Ich zupfte Johnny am Ärmel und wies in die Richtung. Er hatte es wohl auch bemerkt und zischte mir zu: „Komm!“ und begann zu rennen. Ich folgte ihm und versuchte nicht zu stolpern, was in dem matten Licht der entfernten Straßenlaternen nicht gerade einfach war.
Zum Glück erreichten wir den Wintergarten unbeschadet und trauten unseren Augen nicht. Die Tür stand sperrangelweit offen, so dass der Vorhang im Luftzug wehte. „Verdammt! Los zu Eric!“, brüllte Johnny und stürmte durch den Wintergarten in die Küche des Hauses. Fast wäre ich über die Türstufe gestolpert, aber ich konnte mich fangen und rannte durch den Flur in die Richtung von Erics Zimmer. Voller Angst um meinen Bruder beeilte ich mich so sehr es ging und stand kurz nach Johnny in Erics Zimmer. Es war hell erleuchtet und es erschreckte mich, was ich sah: Eine Gestalt war über Eric gebeugt, der auf dem Bett lag. Die Gestalt in einer schwarzen Jacke drehte sich blitzschnell um und ließ seltsam schimmernde Augen und blitzende Zähne sehen.
Stirb, du Penner!“, brüllte Johnny, zückte seinen Meißel und sprang auf den Vampir zu. Der duckte sich, machte einen Satz zur Seite und sorgte so dafür, dass der Meißel ihn verfehlte. Ich stärkte den Griff um Sichel und Messer in meiner Hand und wollte mich zwischen Eric und das Monster stellen. Meine Hände zitterten und ich sah verängstigt, was der Vampir nun mit Johnny machen würde. Johnny trat einen Schritt zurück, hob die Axt in der Linken und wollte zum Angriff übergehen.
Dann ging es plötzlich ganz schnell. Der Vampir setzte zu einem Sprung an, der Johnny sicher erwischt hätte, da zuckte Eric mit dem Arm und man hörte ein schnelles Klicken. Der Vampir ließ ein kreischendes Schreien hören und sprang zur Seite. Eric richtete sich auf und zielte mit einem eckigen Gegenstand auf den Vampir und drückte mehrfach ab. Das Klicken ging weiter und Blut spritzte durch die Luft. Der Vampir war am Kopf getroffen und schrie wieder auf, machte einen Satz und sprang aus dem Fenster. Eric richtete sich auf, rannte zum Fenster und schaute sich um. „Der Spinner ist weg. Und das, obwohl wir im ersten Stock sind. Ich glaube, ich spinne!“, stellte er ein wenig traurig fest.
Erst jetzt konnte ich ihn richtig betrachten und ich merkte, dass er am Hals stark blutete. „Der Typ hat dich gebissen!“, sagte Johnny hysterisch, während Eric das Fenster schloss.
Ja, ist halb so wild. Wie bei einer Zecke tut es eigentlich nicht weh!“ bemerkte er und zuckte die Achseln.
Scheiße!“, fuhr es mir durch den Kopf und ich betrachtete mir seinen Hals genauer. Er hatte zwei rote Einstichlöcher, aus denen das Blut heraus lief. Es war hellrot und saugte sich schon ins T-Shirt. „Wir müssen die Blutung stoppen!“, sagte ich und ging mit Eric ins Badezimmer.
Johnny folgte uns und holte einen Verband aus dem Schrank. Wir legten Eric einen Druckverband an, um die Blutung zu stoppen, was uns schließlich auch gelang.
Wieso hört es nicht auf zu laufen?“, wollte Johnny wissen.
In seiner Hand hielt er das rechteckige Gerät, das Eric auf den Vampir gerichtet hatte. Es war ganz offensichtlich eine starke Tackerpistole, die mit ziemlich großen Tackerklammern bestückt war. Ich konnte mir nun erklären, wie Eric den Vampir verjagt hatte und dachte über die Blutung nach: „Ja, Eric du hast recht. Es dürfte nicht weh tun, wie der Biss eine Zecke. Ebenso wie Vampirfledermäuse verfügt diese über einen Gerinnungshemmer, damit das Blut trinkbar bleibt. Es ist nur logisch, dass hier auch Gerinnungshemmer verwendet werden. Da bedeutet, dass Vampire wesentlich stärker mutiert und an ihre Lebensweise angepasst sind, als ich bisher gedacht hatte.“
Johnny holte neue Tackerklammern aus seine Hosentasche und lud die Pistole nach. „Die habe ich in der Garage gefunden.“, sagte er stolz, wobei er immer noch besorgt auf Eric schaute.
Dann plötzlich ging ein Schatten über sein Gesicht: „Mist, ey. Er hat dich gebissen.Weißt du eigentlich, was das heißt? Das heißt wahrscheinlich, dass du dich jetzt verwandeln wirst. Shit, ey, wir müssen dich fesseln und...“
Eric und ich guckten uns verängstigt an. „Was passiert denn jetzt mit mir?“, wollte er wissen, wobei ein Zittern in seiner Stimme nicht zu überhören war.
Das war eine wirklich interessante und zugleich unglaublich beschissene Frage. Was, wenn er wirklich mit dem Virus infiziert wurde? Würden wir ihn töten müssen, oder würde er uns fressen?
Ich musste mich einen Augenblick sammeln, bevor ich sprechen konnte: „Genetische Änderungen vollziehen sich nicht so schnell. Erst muss das Virus sich vermehren, dann muss es alle Zellen befallen und genetisch verändern. Erst dann wird deine Enzymproduktion eingestellt, beziehungsweise erst dann wird deine normale Verdauung deaktiviert. Du solltest also so viel wie möglich essen, falls ein Nährstoffmangel eintreten sollte. Aber ich finde, es gibt noch keinen Grund zur Panik. Es gibt viele Mythen, wonach das Blut eines Vampirs getrunken werden muss, um verwandelt zu werden. Eine Übertragung über den Speichel kann ich allerdings nicht ausschließen. Wir müssen deinen Blutdruck messen und auf körperliche Veränderungen achten. Sobald wie möglich werden wir uns Teststreifen für Diabetes etc. besorgen, um dein Blut untersuchen zu können.“
Und was machen wir jetzt?“, fragte Johnny, dem die Anspannung in das Gesicht geschrieben war.
Eric schien trotz dem Angriff auf ihn die Ruhe zu bewahren: „Also erstens wissen wir jetzt sicher, dass es Vampire gibt. Das ist schon mal was. Zweitens müssen wir schlafen, was heißt, dass immer einer Wache hält. Und drittens ist der Vampir an uns interessiert und nicht an unseren Großeltern. Er ist zielstrebig hier ins Zimmer und auf mich gesprungen. Ich hatte gar nicht damit gerechnet und war vor Schreck fast wie gelähmt, als er mir in den Hals biss. Ich hatte mich gerade gefangen und wollte versuchen mich zu befreien, da kamt ihr ins Zimmer und habt ihn abgelenkt, so dass ich ihn abknallen konnte. Also Brüderchen, macht euch keine Sorge um mich. Wir werden jetzt schlafen und wenn bis morgen nichts passiert ist, dann fahren wir weg. Dein Handy kleben wir unten an ein anderes Auto, damit wir nicht geortet werden können.“
Der Gute hatte recht. Wir gingen erst in der Küche gemeinsam einige belegte Brot essen und kamen dann zurück in Erics Zimmer und machten es uns auf den Matratzen bequem. Eric übernahm die erste Woche, dann sollten Johnny und ich folgen. Es beschäftigten mich viele Dinge, so dass es mir extrem schwer fiel, endlich einzuschlafen...

Es ist dunkel geworden und die Bibliothek schließt gleich. Ich werde daher morgen zu Ende erzählen, was weiter passiert ist. Ich hoffe, dass es Eric nachher immer noch gut geht. Er hat sich krank schreiben lassen...

Grüße,
The Runner

Montag, 6. Dezember 2010

6. Gibt es Vampire?

Die Frage, ob es Vampire gibt, habe ich mir natürlich nie ernsthaft gestellt, bis zu diesem Tag im Wald. Doch was heißt es eigentlich, wenn es Vampire gibt? Für mich heißt es, dass man extrem aufpassen muss. Alles verändert sich, wenn man in diesem Wissen lebt. Jede Person, die einem begegnet wird verdächtig und das was von nun an das Leben bestimmt ist die Frage, was Vampire eigentlich können und noch mehr, was sie wollen. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich da vor dem Fenster des Internetcafes den Kerl gesehen habe, der mich vor einigen Stunden so angeglotzt hat. Ich werde jedenfalls ein Auge auf das Fenster haben, während ich schreibe.

Ich pflichtete ihm bei und rief nach Eric. Der kam bald darauf hinter einer Deckung hervor und gab uns das Zeichen nicht auf ihn zu schießen.
Was ist denn los?“, wollte er wissen, als er unsere entgeisterten Gesichter sah.
Ich sprudelte nur so aus mir heraus: „Junge, du kannst dir gar nicht vorstellen, was gerade passiert ist. Ein Typ hat mich niedergeschlagen und ist mir an die Kehle gegangen, aber Johnny hat ihn mit der Knarre verjagt. Du, ich glaube der wollte mir echt ans Leder.“
Ohne Mist jetzt?“, Eric blickte ungläubig.
Johnny nickte und ich forderte die beiden auf sofort mit mir nach Hause zu gehen. Wir hoben ein paar Holzknüppel auf für den Fall, dass der Typ wiederkommen sollte und machten uns auf den Weg. Natürlich gab es nur ein Gesprächsthema und Eric wollte alles ganz genau wissen.
Johnny erklärte: „Ich habe gesehen, wie der Penner hinter dir her geschlichen ist und dachte erst, dass es Eric wäre. Dann aber habe ich gerafft was los ist und bin leise hin geschlichen. Der Typ hat irgendwas gesagt und mich gar nicht bemerkt. Ich habe ihm mit voller Wucht gegen den Rücken getreten und dann die Knarre auf ihn gerichtet. Da ist er abgehauen.“
Und habt ihr erkannt, wer es war? Und was wollte der von dir?“, fragte Eric.
Ich beschrieb, die harten Gesichtszüge, seine Kraft und die stechenden Augen. „Er hat mir gesagt, dass mein Freund und ich uns nicht hätten einmischen sollen. So ungefähr; und dass wir an irgendwelchen Sachen forschen würden.“
Eric, der eine Ausbildung zum Informatikassistent abgeschlossen hatte, sah mich fragend an. „Was könnt ihr denn schon bitte forschen? Du bist doch noch im Bachelorstudium...“
Ich nickte, auch wenn mir auf einmal klar wurde, was sich jeder andere schon längst hätte denken können. Mit einem Mal schoss es durch meinen Kopf wie ein Blitz. Ich konnte gar nicht anders, ich musste meinen Brüdern erzählen, was ich dachte, auch wenn sie mich wahrscheinlich für verrückt halten würden: „Mensch, Shit. Ich glaube ich weiß, was hier gespielt wird. Der Typ sah aus wie ein verdammter Vampir!“

Meine Brüder verzogen das Gesicht und ich konnte deutlich das Wort „Spinner!“ in ihren Augen lesen.
Wartet, ich erkläre es euch. Mit dem Freund kann er nur Thoralf meinen, denn er ist mein einziger enger Freund im Biostudium. Thoralf ist seit über einer Woche spurlos verschwunden, ja selbst sein Zimmer ist in der WG ist komplett leer. Auch kein anderer weiß, wo er steckt. Angeblich ist er ausm Studium rausgeflogen. Das letzte worüber wir uns unterhalten haben war, wie man wissenschaftlich den Vampirismus erklären könnte. Thoralf hat auf so einer Internetseite dazu eine nicht ernstgemeinte Theorie veröffentlicht. Vor allem wurde sein Kommentar auf der Internetseite gelöscht und ich habe ihn seitdem nicht mehr gesehen oder was von ihm gehört. Ich habe ihm gemailt und ihn gestern angerufen, aber er meldet sich nicht.“

Ich hatte erwartet, dass meine Brüder sprachlos waren, oder mich einen Idioten schimpfen würden, aber Eric verzog das Gesicht zu seiner Denkermiene und Johnny pflichtete mir bei: „Mann, ich dachte ich spinne und habe deswegen nix gesagt, aber der Kerl hatte blutunterlaufene Augen und und extrem große Eckzähne. Ich habe ihn mit einer Wucht und mit meinen Stahlkappenschuhen getreten, dass jeder andere umgefallen wäre, aber ich habe ihn bloß etwas zur Seite geschubst. Ich glaube dir Mann!“
Es schien so, als sei Eric immer noch skeptisch: „Woher soll der Typ denn wissen, wo du bist? Vampir hin oder her? Ich meine nichtmal Thoralf wüsste doch, wo wir sind, oder?“

Prinzipiell hatte er recht: „Ja, ich habe ihm nur auf die Mailbox gesprochen und ihn gefragt wo er steckt und so.“
Jetzt da wir ahnten, mit wem oder was wir es zu tun hatten, beschleunigten wir unsere Schritte und spähten ängstlich in alle Richtungen des Waldes. Egal ob Vampir oder Mensch - wobei mein Verstand sich irgendwie weigerte die Konsequenzen des ersteren zu durchdenken und daher lieber auf den „Mensch“ beharren wollte - der Typ könnte merken, dass es nur eine Spielzeugwaffe gewesen war und zurückkommen.

Hat einer von euch ein Taschenmesser?“, fragte Johnny und ließ sich von mir mein Schweizer Taschenmesser geben. „Ich werde diesen Stock hier nämlich anspitzen. Sicher ist sicher! Wenn ich eins aus Vampirfilmen gelernt habe, dann dass Pfählen immer irgendwie hilft. Auch wenn es manchmal nur lähmt, aber das wäre ja auch schon mal was!“
Ich musste ihm recht geben und so erbat ich mir etwas später das Taschenmesser zurück, um ebenfalls einen Stab anzuspitzen.
Erics Gesicht war immer noch nachdenklich, dann schließlich fing er an zu reden: „Also ich habe drüber nachgedacht. Der Angreifer ist entweder ein wahnsinniger Irrer, oder du hast wirklich echt mit allem recht... Dann müsste er Thoralfs Handy gehabt haben und den Anruf zurückverfolgt haben. Das wiederrum bedeutet, dass er technisches Knowhow besitzt. Was aber insgesamt viel krasser ist: Shit, es gibt dreckige Vampire. Was wollen die Monster, welche Eigenschaften haben sie, wie viele gibt es und wo kommen die Drecksbiester her?“
Eric ging wie immer analytisch an die Sache ran. Während ich mir Sorgen machte und bei jedem Schritt befürchtete angegriffen zu werden, fragte er nach dem Warum. Ich antwortete ihm: „So viel kann ich dir sagen: Thoralf hat ja zu dem Thema was gepostet. Sollte es falsch gewesen sein, dann hätte der Vampir ja gar keinen Grund gehabt ihn...“
Ich konnte den Gedanken nicht verwehren, dass Thoralf etwas zugestoßen war, aber ich wollte es auch gar nicht erst vermuten, also lenkte ich ab: „Also, sollte das, was er geschrieben hat, falsch gewesen sein, dann gäbe es keinen Grund uns zu verfolgen. Es ging in der Kurzform um einen humanpathogenen Virus, der als horizontaler Genvektor funktioniert und zu verschiedenen Vampireigenschaften wie Bluthunger und Unsterblichkeit führt.“
Jetzt war es Johnny, der mich überraschte: „Ich habe vor ner Weile mal was zu dem Thema gelesen. Also, dass die Vampire gar kein Licht ertragen, ist wohl eine Filmidee. Sie meiden eher das Licht, aber dass es tödlich ist, ist der Legenden zufolge gar nicht wahr. Je mehr ich nachdenke, desto mehr komme ich zu dem Schluss, dass es gar nicht anders sein kann. Jetzt stellt sich eben nur die Frage, wie viel von dem Vampirwissen, was man so hat, überhaupt stimmt.“
Wir liefen gerade das letzte Stückchen Berg hinab bis zum Haus unserer Großeltern.
Eric meinte nur: „Jaja, kann alles sein. Ich frage mich gerade nur, wie wir lebend aus der Sache raus kommen und ob uns Gefahr droht? Wenn wir zu Hause sind, dann muss all unser Denken der Frage gelten, wie wir uns schützen können. Nicht nur uns, sondern auch unsere Großeltern. Es steht jedenfalls fest, dass ihr absolut niemandem erzählen könnt, von dem was heute passiert ist. Erstens glaube ich selbst noch nicht wirklich dran und wir haben noch keine echten Beweise und zweitens glaubt euch sowieso keiner. Und drittens sollten wir keine Aufmerksamkeiten auf uns ziehen!“
Eric hatte recht! Durch das alte Gartentor betraten wir das Grundstück unserer Großeltern als Johnny meinte: „Wir gehen zuerst in die Garage. Dort können wir uns mit Waffen eindecken!“
Mein Bruder war ein Schwarzenegger-Fan und mochte Martial Arts-Filme ebenso wie ich. Möglicherweise war es seinem Alter geschuldet, aber er dachte natürlich zuerst an Waffen zur Verteidigung. Also öffneten wir die Garage, in der unser Opa alle möglichen Werkzeuge lagerte, und deckten uns mit zwei Holzäxten, einem Schleifstein und einer Sichel ein. Johnny entdeckte außerdem einen Meißel: „Das ist genau das, was ich gesucht habe. Nur schade, dass er nicht aus Silber ist, dann würde ich mich sicherer fühlen! Aber es gibt ja sicher Zwiebeln und Knoblauch in der Speisekammer.“
Ich musste grinsen. Johnny war echt eine Kämpfernatur! Ich nahm noch einen Hammer mit und dann begaben wir uns ins Haus. Dort angekommen rieb Johnny seinen Meißel und seine Axt mit Knoblauch und Zwiebeln ein, was natürlich ganz schön stank.
Eric dachte wieder pragmatisch und meinte: „Wir können heute Nacht unmöglich getrennt schlafen. Bringt euch Matratzen in mein Zimmer, denn dort sind wir am nächsten bei dem Schlafzimmer unserer Großeltern. Ich werde die Zeit bis zum Mittagessen nutzen und mich im Internet schlau machen.“
Gerade wollte ich ihm zustimmen, als mir einfiel, dass es hier gar keinen Internetanschluss gab. Ich erinnerte Eric daran, doch der meinte nur: „Ja, aber einen Telefonanschluss gibt es. Ich gehe über ISDN rein. Muss nur noch Opa fragen.“
Im Haus deponierten wir unsere Waffen an gut greifbaren orten, Nur Johnny steckte sich den Meißel in den Hosenbund und die Softairpistole in den Gürtel. „Sicher ist sicher!“, sagte er.

Sowohl beim Mittagessen als auch beim Abendbrot waren wir unseren Großeltern gegenüber ziemlich schweigsam, was diesen aber nicht aufzufallen schien. Sie erzählten munter von früher und von Politik, so wie sie es sonst auch taten. Wir Jungs unterdessen nickten nur immer wieder und hielten die Fenster im Auge. Unsere Köpfe schwirrten, von all den Gedanken die wir uns machten; und wenn wir ungestört waren, dann versuchten wir im Internet an Informationen zu kommen und etwas neues herauszufinden.

So, jetzt wisst ihr, wie ich in das Schlamassel rein geraten bin. Ich habe es nicht geschafft zu erzählen, wie wir aus dem Kaff gekommen sind, aber das werde ich tun, sobald ich die Zeit dazu habe. Eigentlich müssten wir momentan sicher sein, aber ich weiß einfach noch zu wenig über unsere Lage, um das genau zu sagen.
Bis zum nächsten Mal.

The Runner