Mittwoch, 8. Dezember 2010

8. Auf der Flucht

Ich werde die Chance heute nutzen und euch das Ende unserer Zeit bei meinen Großeltern berichten. Ich habe mich entschlossen von nun an keine Andeutungen mehr darüber zu machen, von wo ich diese Einträge schreiben. Glücklicherweise habe ich den Dicken mit Hut nicht mehr gesehen und kann wohl davon ausgehen, dass er keine Gefahr dargestellt hat. Nun aber weiter zu dem entscheidenden Wochenende bei meinen Großeltern...

Der letzte Tag hatte sich so in meinen Kopf eingebrannt, dass er auch im Schlaf nicht daraus zu entfernen war. Ständig träumte ich von Vampiren und Verfolgung, so dass ich eigentlich dankbar war, als Johnny mich zu meiner Wache weckte. Wir gucken uns den schlafenden Eric an und bemerkten, dass er zum Glück noch gesund aussah. Auch der Druckverband hatte gehalten und er hatte nicht wieder angefangen zu bluten. Johnny legte sich auf die Matratze und versuchte, ob ihn der Schlaf nicht vielleicht doch ereilen würde, während ich mich auf einige Stunden Wache einstellte. Ich wusste noch nicht so ganz, wie ich die nächsten Stunden gut überstehen würde und so ließ ich meinen Gedanken freien Lauf, während ich Fenster und Tür im Auge behielt.
Es gab also zu 100iger Sicherheit Vampire. Soviel stand fest. Ich hatte heute einen gesehen. Er war schmächtiger als ich und vielleicht 10 Zentimeter kleiner gewesen, hatte schwarzes gekämmtes Haar eine große Nase gehabt. Dass es ein Vampir gewesen war hatte, mir der Biss und der unbeschadete Sprung aus dem Fenster eindeutig bewiesen. Natürlich musste man davon ausgehen, dass es nicht nur einen dieser Viecher gab. Schon allein evolutionär war das unmöglich, geschweige denn, dass es diese Mythen überall auf der Erde gab. Wie viele Vampire es wohl geben mochte? Der Biss bei Eric, hatte gezeigt, dass Vampire auch trinken konnten, ohne, dass das Opfer starb. Es werden jährlich über 6000 Menschen in Deutschland vermisst, von denen die allermeisten gefunden werden. Die Zahl von tödlichen Vampirangriffen könnte sich also höchstens bei einigen Hundert belaufen, selbst wenn es noch Dunkelziffern gäbe. Das bedeutet also, dass ein Vampirmord oder die Verwandlung in einen, sofern die Behörden die richtigen zahlen liefern, extrem selten sein mussten. In anderen Ländern wie Südamerika oder unter illegalen Einwanderern oder Obdachlosen könnte dies natürlich öfter der Fall sein. Gehen wir also vom schlechtesten Fall aus, so wird es trotzdem höchstens einige Tausend solcher Fälle in Deutschland geben, was aber unwahrscheinlich ist, da es sonst bekannt werden würde. Ich selbst habe einmal Blut gespendet, eine unangenehme Erfahrung, bei der mir der Arm zerstochen wurde, und weiß daher, dass jährlich über 2 Mio. Blutspenden abgenommen werden, was mindestens 0,5 Mio. Liter Vollblut bedeuten. Diese werden natürlich großteils in den Kliniken verwendet werden. Nehmen wir mal an, dass man 20% der Blutspenden abschleusen könnte, so wären das immer noch 100.000 Liter Blut, von dem sich die Vampire in Deutschland ernähren könnten. Das ließe beim besten Willen keine Vampirpopulation in den Zehntausenden zu! Selbst mit 100 Litern Blut ihm Jahr aus den Spenden und den vermissten Menschen, könnten sich in Deutschland vielleicht 1000 Vampire ernähren, also 0,01 Promille der Bevölkerung.
Ich denke, dass eine so kleine Gruppe durchaus unbemerkt bleiben kann und sicherlich stark kontrolliert, wer ebenfalls verwandelt wird. In Afrika beispielsweise könnten Abertausende der Blutsauger leben, sollten sie die Hitze und das Licht ertragen. Ebenso könnten es Zehntausende in China und Russland sein...
Doch muss man davon ausgehen, dass sie weltweit eine extreme Minderheit darstellen und wohl kaum millionenfach die Erde bevölkern. Da stellte sich mir allerdings die Frage, ob die Menschen dann nicht im Grunde davon wissen müssten? Wir hatten natürlich nur durch glückliche Zufälle die beiden Angriffe überlebt, aber waren wir damit so einzigartig auf der Welt? Musste es nicht noch mehr Menschen wie uns geben? Ich entschloss mich bald im Internet auf die Suche zu gehen...

Als ich meine Brüder morgens weckte, gingen wir als erstes nach draußen, um die Fußabdrücke des Angreifers zu untersuchen. Es war eisekalt, unter 10 Grad im Minus, als wir nach raus gingen. Vor Erics Fenster angekommen, stellte ich überrascht fest: „Hier gibt es gar keine Fußspuren. Wo ist der Spinner den bloß hin verschwunden?“
Johnny und Eric erschienen eben so ratlos und zuckten nur die Schultern. Eric meinte: „Wir müssen jedenfalls packen, damit wir dann nach dem Mittagessen von hier verschwinden können!“
Er hatte recht und so machten wir uns daran unsere Sachen zu packen und anschließend mit unseren Großeltern zu frühstücken. Johnny nutzte die Zeit um noch schnell mein Handy mit einem Klebeband ein Auto aus der Nachbarschaft zu tapen und kam dann nach.
Offensichtlich hatten unsere Großeltern in der Nacht nichts mitbekommen, denn sie waren gut gelaunt wie immer, wenn wir zu Besuch waren. Trotzdem schienen sie etwas traurig, dass wir jetzt schon fahren wollten, was sie aber natürlich verstanden, da uns am nächsten Tag die Schule beziehungsweise die Uni erwartete.

Wir verabschiedeten uns herzlich und ermahnten sie, uns anzurufen, falls sie wegen der Eisesglätte hinfallen sollten oder so, damit wir an sie denken konnten. Oma und Opa wirkten etwas überrascht, willigten aber ein und so saßen wir schon bald in dem gepackten Wagen und winkten unseren Großeltern zu, während Eric den Motor startete. Ihm schien es heute immer noch gut zu gehen und er hatte darauf bestanden, fahren zu dürfen, auch wenn mir nicht wirklich wohl bei der Sache war. Schließlich könnte es ja sein, dass er während dem Fahren plötzlich irgendwelche Symptome zeigte! Also setzte ich mich neben ihn, um im Notfall das Lenkrad übernehmen zu können, aber das verschwieg ich ihm natürlich.
Eric war der bessere Fahrer von uns beiden und dass er am Steuer saß, war auch ganz gut, wie sich herausstellen sollte. Johnny und ich unterhielten uns gerade darüber, wie wir herausbekommen konnten, ob uns Gefahr in unserem Heimatort drohte, da unterbrach uns Eric: „Hey, Leute. Guckt mal der dicke Audi hinter uns. Der fährt uns schon eine ganze Weile nach, aber im Moment beschleunigt er echt extrem!“
Johnny und ich drehten uns im Sitz um und sahen auf die lange Straße. Die Straßenstrecke zwischen dem Dorf meiner Großeltern und der nächsten Stadt war extrem kurvig. Es gab im Wald nur eine einzige gerade Stelle, an der man richtig beschleunigen konnte, und wenn man dies tat, dann hob man an einem kleinen Hügel sogar ein wenig von der Straße ab. Wie Eric gesagt hatte, war in einiger Entfernung ein Audi zu sehen, der extrem beschleunigte. Mit großer Geschwindigkeit raste er auf die Erhebung zu, so dass sich seine Reifen einen Moment lang von der Straße lösten und dann erst wieder aufschlugen. Die Straße war etwas glatt aufgrund des Schnees und so geriet der Audi etwas ins Schlingern und musste abbremsen. Er hatte sich gerade wieder gefangen, da schrie Johnny auf einmal überrascht. „Shit, ich werd nicht mehr. Das ist der Vampir von gestern!“
Ich schaute genau hin – und, tatsächlich, er hatte recht. So ein Mist aber auch. „Wenn der uns rammt, sind wir im Eimer!“, meinte ich und dachte an die Billigbauweise unseres Fiats, den wir führen.
Eric stimmte mir zu: „Ja, das stimmt. Wenn der uns rammt, dann ist es aus. Vor allem weil gleich die Kurven anfangen und wir bergauf mit den paar PS nicht ordentlich beschleunigen können!“
Junge, gib Gas!“, rief Johnny, als er sah, dass der Audi wieder beschleunigte.
Wie ein Sturm durchzog es meinen Kopf. Der Killer würde uns gleich rammen und gegen einen Baum schleudern. Was um alles in der Welt, konnten wir nur tun? Meine Hände fingen an zu zittern und Schweiß trat mir aus allen Poren.
Blitzeis!“, sagte Eric und konzentrierte sich darauf, dass er die nächste Kurve trotz hoher Geschwindigkeit gut meistern würde. Die Kurve da vorne hatte fast einen 90 Grad Winkel und war mit Abstand die schärfte auf der ganzen Strecke, wie wir aus unserer Kindheit wussten.
Es dauerte einen Augenblick, bis ich kapierte, was Eric meinte. Dann hob ich meine Wasserflasche auf, drehte den Verschluss auf und schrie zu Johnny: „Mach deine Flasche auf und kippe das Wasser aus dem Fenster!“
Johnny schien zu verstehen und schraubte ebenfalls eine Flasche auf. Eric drückte vorne die Knöpfe zum Fenster öffnen und wir hielten die offenen Falschen aus dem Fenster. Der Wind schnitt eisig in meine Hand und mir wurde ganz übel, als ich daran dachte mit welcher Geschwindigkeit wir gerade auf die Kurve zu fuhren. Ich konnte nicht sehen, ob unser Wasser bei dieser Kälte wirklich zu Eis auf der Straße gefror, aber ich hoffte es inständig.
Mit quietschenden Reifen und einem kleinen Schlenker schnitt Eric die gegenüberliegende Fahrbahn und schaffte es gerade so, nicht aus der Straße zu fliegen. Dann schaltete er in den dritten Gang und gab Vollgas, um schnellstmöglich die Steigung hinter der Kurve zu bewältigen. Der Motor heulte auf und tat sein Bestes. Gebannt starrten Johnny und ich durch die Rückscheibe auf die Kurve. Plötzlich konnte man durch die offenen Fenster ein starkes Quietschen und ein Rumpeln hören, dann hörte man einen Schlag. Kurz darauf flog der Audi mit voller Geschwindigkeit mit der Stoßstange auf die Leitplanke. Es krachte fürchterlich und der Wagen überschlug sich in der Luft, um dann qualmend und rauchend liegen zu bleiben. Ob er in Flammen aufging, oder gar explodierte war für uns nicht mehr zu sehen, denn wir bogen schon um die nächste Kurve...

Yeah, den hats erwischt!“, freute sich Johnny und war ganz aus dem Häuschen.
Mir war da wesentlich mulmiger zu mute. Hatten wir da gerade einen Menschen umgebracht? Was, wenn man uns in Verbindung mit dem Unfall bringen würde?
Doch meine Gedanken wurden im Moment von Erics riskanten und viel zu schnellen Fahrstil unterbrochen. Ich musste ihn zur Mäßigung mahnen: „Jetzt fahr mal etwas vorsichtiger. Der holt uns sicher nicht ein! Wenn wir im nächsten Graben landen, dann hilft uns das sicherlich nichts!“
Johnny pflichtete mir bei uns so fuhr Eric wenigstens ein bisschen langsamer, auch wenn man ihm anmerken konnte, wie angespannt er immer noch war. Johnny und mir ging es ja nicht anders! Wir konnten einfach nicht fassen, dass wir einem weiteren Anschlag entkommen waren und dabei einen Vampir umgebracht hatten. Nichts anderes füllte unsere Gespräche auf der Fahrt nach Hause, die sich aufgrund eines Staus bis zum Abend ausdehnte. Wir rekapitulierten immer wieder, was passiert war und überlegten, ob wir wohl in Zukunft sicher wahren. Wir konnten uns über diesen Punkt nicht einigen, wohl aber darüber, dass wir keinem etwas von unserem Erlebnis berichten konnten - jedenfalls nicht in Bezug auf unsere Personen. Wir versprachen also, nicht zu plaudern und waren uns einig, ein unglaublich verrücktes Wochenende hinter uns zu haben.
Hoffentlich war es nun vorbei und wir wären in Sicherheit, sobald wir zu Hause ankamen. Der Feind war schließlich tot, die Möglichkeit uns zu orten war beseitigt und es gab keinen Grund uns zu verfolgen.
Sicher, wir wussten, dass es Vampire gab, aber das hatte ja nur der Typ gewusst, der jetzt gestorben war. So also kamen wir emotional völlig fertig, aber dafür einigermaßen glücklich und in Sicherheit nach Hause...

Was würdest du denn machen, wenn du in einer solchen Situation gewesen bist?
Würdest du so tun, als wäre nichts passiert und weitermachen wie bisher oder würdest du sofort deine Stadt verlassen und von nun an undercover leben, wohl möglich mit der Wahnidee als van Hellsing auf Vampirjagd zu gehen?
Ich werde demnächst berichten, wie es bei mir weitergeht.
Um es in den Worten von Xardas aus Gothic zu sagen:
Mögest du in einem Stück zurückkehren!“

The Runner

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