Sonntag, 29. Januar 2017

18. Es muss enden!



18. Blogeintrag
Es muss enden!

„Dave!“, eine Stimme drang in mein Bewusstsein und hob sich seltsam von dem seichten Surren in meinen Ohren ab.
„Dave!“, wiederholte die Stimme wieder und mich traf ein kräftiger Schlag auf die Wange.
Ich schnappte nach Luft und zuckte hoch. Kräftige Arme zogen mich, bis ich saß. Der Schleier vor meinen Augen löste sich und ich sah einen kräftigen Mann vor mir knien. Er war in eine Jeans und ein sportliches T-Shirt gehüllt. Ich schüttelte den Kopf und vertrieb so die Schlieren und das Schwarz vor meinen Augen.
Dann erkannte ich Johnny vor mir. Er hatte mich auf die harte Tour geweckt, wie ich merkte. Offensichtlich hatte Wasser dazu nicht ausgereicht, denn mein T-Shirt war klitschnass. „Was ist los?“, fragte ich mich und starrte in verschiedene Gesichter, die mich neugierig ansahen.
Da standen neben Maria und Thoralf samt Schwester auch noch Eric und Jeri. Die zwei Anzugträger lagen auf dem Bauch. Man hatte ihnen die Hände mit ihrem eigenen Kabelbinder, so wie die Fußgelenke verschnürt.
„Wir haben euch gefunden.“, stellte Johnny ziemlich einfach fest und schaute mir tief in die Augen, um meinen Zustand zu prüfen. „Wie geht es dir?“

Dann leuchtete er mich mit einer Taschenlampe so an, dass es blendete. „Ja, gut. Mach das Licht weg.“, gab ich von mir und erhob mich.
Die wackeligen Beine trugen mich und ich sah ein Lächeln bei meinen Freunden. Thoralf ließ sich als erstes zu einer Erklärung herab: „Sie haben sich durch die Security am Eingang gekämpft und unseren letzten Standpunkt mit Erics iPhone ermittelt. Als Johnny die Türe auftrat, warf ich mich auf eine der Wachen. Maria half mir. Jeri beförderte den anderen mit einem gezielten Site-Kick zu Boden.“

„Dann nichts wie weg!“, stellte ich fest und sah dankbar in die Runde.
Aber Eric schüttelte den Kopf. „Das geht nicht. Auch wenn die sicherlich bald mit einer kleinen Privatarmee anrücken. Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir unbedingt den Zugang zu einem ihrer lokalen PCs brauchen.“
„Wieso das dann?“, fragte ich völlig verdattert. „Wir haben doch Zugang zum System.“
Johnny klärte mich auf, bevor Eric es konnte: „Ja, das schon. Aber das System ist ja Teil des Theaters von Chiang-Shih. Im System konnten wir nicht rausfinden, wer nun Vampir ist und wer zur Organisation als solches gehört. Und Maria hatte gerade die geniale Idee, dass wir den sozusagen echten Vampiren eine Email schicken könnten, in denen wir sie aufklären und zum Kampf gegen die Organisation aufrufen. Dazu müssen wir aber wissen, an wen diese Email gehen darf. Würde Chiang-Shih sie auch bekommen, wär der Plan Geschichte.“
„Genug jetzt!“, befahl Thoralf. „Labern können wir später. Lasst uns einen Rechner suchen, das Teil knacken und verschwinden. Ich will meinen Kopf nicht unnötig lang für euren waghalsigen Plan aufs Spiel setzen!“

Er hatte Recht. Wir verließen den Folterraum und verschlossen die Tür hinter uns. Dann suchten wir gemeinsam den Gang vor uns ab. Johnny verteilte sein Waffenarsenal an uns. Jeder erhielt ein Schwert oder eine Axt. Eric und Johnny behielten die zwei P99 für sich. Bei ihnen war sie aufgrund ihrer langen Softairerfahrung am besten aufgehoben.
Die meisten Türen in dem kaltweißen Gang waren seltsamerweise offen. Doch die Räume waren leer. Voller Angst vor dem Kommenden beeilten wir uns, so gut es ging.
Irgendwann entdeckte Jeri eine verschlossene Tür. „Zur Seite!“, befahl Johnny und richtete den Lauf der Walther auf das Schloss.
Dann schoss er. Die Kugel prallte an dem Türschloss ab und schlug in die Wand dicht neben Johnny. Hätte er ganz gerade geschossen, wäre er getroffen worden. „Ui, das war ein knapper Querschläger!“, flüsterte Johnny.
Aber er ließ uns keine Zeit, uns von dem Schock zu erholen. Mit Anlauf sprang er gegen die Tür und trat sie mit einem gezielten Tritt auf.

Zu unserer Freude stand in dem Raum tatsächlich ein Computer. Eric drückte seine Waffe Jeri in die Hand und setzte sich vor den PC. „Bewacht den Eingang!“, sagte er.
Für meinen Geschmack fuhr der Rechner viel zu langsam hoch. „Ha, da ist ja immer noch Windows 2000 drauf. Was für ein Schrott. Da kann man bei der Benutzerkennung mit Abbrechen und ein paar Kniffen jeden Schutz umgehen! Einfacher als die Kindersicherungen, die uns früher zuhause vom Zocken abhalten sollten!“, lachte er.
Es dauerte auch gar nicht lange, da hatte er den altmodisch anmutenden Rechner geknackt. Er klickte sich in das lokale Netzwerk und stellte fest, dass es viele Rechner in dem Gebäude gab, die am Intranet angeschlossen waren. „Geh mal hier auf geteilte Dateien. Und hier auf Geschäfte.“, navigierte ihn Maria, die irgendwie ein Gespür für die richtigen Ordner hatte.

Und tatsächlich dauerte es nicht lang und Eric öffnete eine Excel-Datei, die den verheißungsvollen Namen „Kunden“ trug. Eric scrollte die Liste von verschiedenen Namen, wie „Marcel Frank, alias Dexter“, herunter. Und tatsächlich waren es 465 Namen, die eingetragen waren. Fein säuberlich waren alle möglichen Informationen aufgeführt, wie Geburtsdatum, Wohnort, Abschlüsse, Hobbies, Kontaktpersonen, Familie und so fort. Sogar die Anzahl und die Daten der bestellten Blutpräparate waren vermerkt.
„Geile Datei! Schick sie sofort an unsere Emails, die kennt Chiang-Shih sowieso schon!“, grinste Thoralf.

Eric gehorchte und löschte die Email samt Anhang anschließend. Dann fuhr er den Rechner ordnungsgemäß wieder runter. Er konnte es einfach nicht leiden, wenn jemand schlecht mit technischen Geräten umging.
„Jetzt aber nichts wie raus!“, befahl Johnny und alle folgten ihm sofort.

Eric ließ sich seine Pistole wieder geben. Gemeinsam mit Johnny bildete er die Vorhut. Johnny steuerte uns gekonnt durch das Wirrwarr an Gängen, bis wir über eine kleine Treppe hinunter kamen. Unten gab es eine Notausgangstüre. Johnny öffnete sie trotz des schrillen Alarms und hielt uns anderen die Tür auf.
Wir rannten nach draußen über einen dunklen Parkplatz, der nach einem Firmengelände aussah, auf eine Mauer zu. „Da müssen wir drüber klettern. Dahinter parkt das Auto!“, befahl Johnny und spähte in der Dunkelheit der Nacht nach Feinden.
Ein Blick auf meine Uhr verriet mir, dass es sechs Uhr morgens war. Bald würde die Sonne aufgehen.

Plötzlich hörte man wildes Bellen. Männer, die ebenfalls schwarze Anzüge trugen und Waffen bei sich hatten, leuchteten mit Taschenlampen nach uns. Dann ließen sie ihre Dobermänner von den Leinen. „Die werden uns zerfleischen!“, rief ich ängstlich und klammerte den Griff meines japanischen Schwertes umso fester.

Die feindlichen Männer gaben aus ihren Pistolen Schüsse auf uns ab, trafen uns aber nicht, da sie noch zu weit weg waren. Dafür kamen ihre Hunde immer näher. Es waren etwa fünfzehn. Sie würden uns erreichen, ehe wir alle auf die Mauer geklettert waren, das war sicher. Ich, Maria und Tamara würden es definitiv nicht mehr schaffen, auch wenn Thoralf, der bereits an der drei Meter hohen Mauer angekommen war, mit den Händen für uns schon eine Räuberleiter formte.
Eric und Johnny stiegen mit den Füßen in Thoralfs Hände und ließen sich nacheinander nach oben wuchten. Sie zogen sich mit den Händen hoch, ohne die Pistolen loszulassen. Oben auf der Mauer knieten sie sich hin und zielten auf die Dobermänner. Krachend lösten sich Schüsse und streckten die ersten Köter nieder. Ich jubelte leise. Jeri kletterte die Mauer hoch. Die Hunde kamen deutlich näher. Doch da die P99 keine manuelle Sicherung besaßen, konnten Eric und Johnny erneut feuern. Wieder streckten sie zielsicher zwei weitere Dobermänner zu Boden. Jetzt zog Jeri Tamara zu sich hoch. Die Hunde hatten uns beinahe erreicht. Wieder knallten zwei Schüsse in der Nähe und weitere in der Ferne. Die beschissen Männer von Chiang-Shih waren fast so nah, dass ihre Schüsse treffen konnten!

Klick, Klick!
Dieses Mal war nur einer der Hunde getroffen worden und überschlug sich in seinem Lauf, bis er liegen blieb. Immer noch zehn Hunde waren übrig. Mit lautem Knurren und gefletschten Zähnen sprangen sie auf mich zu. Jetzt schob Thoralf auch Maria nach oben. Ich konnte nicht anders. Ich musste das Schwert aus der Scheide ziehen. Mit einem lauten Schrei und einem kurzen Stoßgebet auf den Lippen schlug ich nach dem vordersten Dobermann. Knirschend glitt das Metall an dem Schädel ab, brachte dem Hund aber eine solche Wunde bei, dass er heulend zurück wich.
Aus den Augenwinkeln sah ich, wie die anderen Thoralf die Hände entgegenstreckten und ihn hochzogen, bevor ihn die Hunde erreichten. Ich war allein. Wieder schwang ich mein Schwert und traf einen Dobermann gerade noch, bevor er mir in die Kehle beißen konnte. Schüsse krachten und zwei weitere Hunde krachten auf den Boden. Jetzt schlugen auch die Kugeln der Feinde sehr nahe bei mir ein. Auch auf die Freunde auf der Mauer wurde geschossen. Mit ganzer Kraft schleuderte ich das Schwert in die Richtung der übrigen Hunde. Dann sprang ich zur Mauer und riss die Arme nach oben. Gleich sechs Arme streckten sich zu mir herunter. Gerade als ich absprang, spürte ich einen reißenden Schmerz im Fußgelenk. Ein Dobermann schlug mir die spitzen Zähne ins Fleisch. Ich schrie auf und hätte beinahe losgelassen, aber Jeris starker Griff ließ nicht los. Der Schmerz brannte in meinem ganzen Bein, ja ich konnte es nicht einmal mehr bewegen. Mit vereinen Kräften hievten mich die anderen nach oben. Der Dobermann ließ nicht los. Kugeln schlugen direkt neben meinem Kopf und meinen Beinen in die Wand. Die Feinde waren stehen geblieben und zielten auf uns. Ich hörte, wie eine Kugel spritzend in weiches Fleisch drang. Der Dobermann an meinem Bein heulte auf und ließ endlich los. Wieder schossen Wellen der Schmerzen durch mein rechtes Bein.

Endlich schafften es die anderen, mich auf die Mauer zu ziehen. Johnny und Eric sandten noch zwei Warnschüsse zu den Gegnern, während Thoralf schon auf der anderen Mauerseite herabsprang. Er half den anderen herab. Johnny hievte mich zu den anderen herunter, die mich in Empfang nahmen. Unten angekommen legte Jeri mich per Sanitätergriff über die Schulter. Johnny und Eric sprangen herab und federten sich auf dem weichen Erdboden ab. Eric steckte die Knarre in die Jeans und zog einen Autoschlüssel. Er drückte auf Fernsteuerung und ich sah dreißig Meter vor uns ein Auto aufleuchten. So schnell es nur irgend ging, sprinteten wir zum Auto. Johnny hielt Jeri die Tür auf, der mich hinein wuchtete und dann hinterher krabbelte. Johnny stieg durch den Kofferraum nach Maria hinein. Und Eric ließ den Motor an. Er startet mit quietschenden Reifen. Gerade noch rechtzeitig, wie ich im Rückspiegel sah. Die ersten Wachmänner waren ebenfalls auf der Mauer angekommen. Bald eröffneten sie das Feuer. Eine Kugel traf das Glas im Kofferraum und blieb in einem Sitz stecken. Alle außer Eric kauerten sich auf den Boden des Autos. Zwei weitere Kugeln flogen durch das bruchsichere Glas und hinterließen runde Löcher. Aber getroffen wurde keiner, als wir endlich aus der Reichweite gekommen waren. Eric gönnte dem Motor keine Pause. Er beschleunigte, so sehr es die Straße in dem Industriegebiet zuließ. Dann bog er auf eine Straße nach rechts und später wieder nach links. Völlig geschockt atmeten wir alle laut aus. Unsere Herzen schlugen uns bis zum Hals, meins ganz besonders. Jeden Schlag konnte ich an dem Pochen meines Beines spüren. Es schmerzte furchtbar.

Jeri sah sich die Wunde an, während Eric auf eine größere Hauptstraße abbog, die aus dem Industriegebiet auf die Straßen Berlins führte. „Sei froh, dass es kein Mensch war, der sich in dein Bein verbissen hat. Dann wäre die Infektionsgefahr wesentlich größer!“, sagte er. „Aber keine Angst, es ist keine wichtige Ader verletzt worden. Es wird sehr stark weh tun, aber dein Bein wirst du sicher nicht verlieren. Es ist eine Fleischwunde. Der Knochen wurde wohl nicht verletzt.“
Thoralf drehte sich vom Beifahrersitz zu mir zur Rückbank. „Hier, ein paar Aspirin. Die lagen vorne in eurer Ablage.“
Dankbar schluckte ich drei der Tabletten mit einem Schluck schalen Wassers, das aus einer Flasche unter der Rückbank kam.

Während Eric durch die Straßen von Berlin fuhr, um mögliche Verfolger abzuschütteln, simste Maria dem Krankenhaus, um nach dem verletzen Chiang-Shih-Chef im Kellergebäude zu sehen. Als sie gerade fertig war, stellte Johnny die Frage, die uns allen unter den Nägeln brannte: „Und was nun? Wir haben die Liste!“
Eric konzentrierte sich auf möglichst unauffälliges Verhalten im Straßenverkehr, während er sagte: „Maria hat doch ihr Smartphone dabei. Da ist die Email mit der Liste sicher schon angekommen. Maria kann eine Email an diese Liste schreiben. Wir müssen die Vampire darüber aufklären, dass sie aufs bitterste verarscht worden sind. Wir erklären ihnen, wie die Blutpräparate funktionieren und geben ihnen Tipps, wie sie die Sucht überwinden können. Wir rufen sie auf, nach Berlin zu kommen. Bis dahin haben wir sicherlich die Kunden von den Tätern im System getrennt und wissen, wer zu den Bösen gehört. Wir können den Vampiren dann genau nennen, wer die Verantwortlichen sind. Gemeinsam können wir Chiang-Shih ein für alle Mal den Gar aus machen!“
„Bei der Gelegenheit kannst du unseren Eltern gleich Bescheid sagen, dass es uns gut geht, aber wir weg mussten, um einem kranken Freund zu helfen. Wir klären sie später auf.“, ergänzte Johnny.
„Ok, was soll ich schreiben?“, hakte Maria nach und zwang uns alle, unsere Gedanken zu konzentrieren.

Gemeinsam erarbeiteten wir folgendes Schreiben: „Sehr geehrte Vampire der Gilde Chiang-Shih, Chiang-Shih ist ein Betrug! Die Blutpräparate, die ihr zu euch nehmt sind keine Lösung, sondern Ursache des Problems. Dies ist kein Scherz! Wir haben die Pillen untersucht und mit Doktor Weinberg dem Chef der Chiang-Shih GmbH gesprochen. Sie sind in drei Schichten aufgebaut und enthalten erstens pH-Senker für das Wiederintaktwerdens des Magens und zweitens Suchtmittel, von denen Entzugserscheinungen kommen, und drittens eine Mischung aus Pepstatin und Iodacetat, die die Magensäurebildung hemmt und so die Verdauung von Eiweißen durch Pepsin unmöglich macht. Die Wirkung der inneren Schicht setzt erst einige Tage später ein, wenn die äußeren Schichten verdaut wurden. Wenn ihr uns nicht glaubt, probiert es aus und zerschneidet eine Pille! Ihr solltet aufhören, die Blutpräparate zu essen, sie machen euch noch abhängiger! Die Suchtmittel in ihnen bestehen v.a. aus Nikotin, Coffein und Speed, sind also nicht so halluzinogen, außer beim Entzug. Es besteht eine Gefahr der Psychochose beim plötzlichen Absetzen. Besser als ein Kalter Entzug, ist das langsame Absetzen mit immer geringeren Dosen. Ihr könnt zur Unterstützung zum Beispiel Naltrexon verwenden, das man unter dem Namen Adepend bekommt (Achtung vor Überdosis!). Nach wenigen Tagen wird euer Magen auch ohne Präparate wiederhergestellt sein und ihr könnt normale Nahrung zu euch nehmen! Beschleunigen könnt ihr den Vorgang mit Phytalin und Hydrochlorsäure! Es gibt keinen Vampirismus! Es ist alles eine Täuschung!
Testet selbst aus, ob wir Recht haben oder nicht. Chiang-Shih beutet euch auf das Übelste aus! Wir werden euch bald eine weitere Email schicken, in der wir die Namen aller derer nennen, die bei Chiang-Shih arbeiten und sich nicht für Vampire halten, weil sie die Droge nicht nehmen! Wir schicken euch den Verteiler offen. Nehmt unter einander Kontakt auf und sp Recht euch ab, um zu sehen, dass wir Recht haben.
Wir melden uns bald wieder!

Gezeichnet, Thoralf der Vampirjäger, Eric der Hacker und Dave der Dr. Darwin samt Freunden.“

Maria schickte die Email an die Emailliste aus der Datei und zur Sicherheit auch an alle 207 Namen aus der Excel-Datei, die gleichzeitig im Chiang-Shih-System vorkamen. Nach einem Abgleich, der etwa eine Stunde dauerte, und während dem Eric an einer Tankstelle angehalten und den Tank nachgefüllt hatte, hatten wir dank Admin-Passwort alle 53 Namen beisammen, die zwar im System aber nicht in der Kundenliste auftauchten. Maria ordnete alle Namen alphabetisch auf einem Laptop, den Eric mitgebracht hatte und der über einen Internetstick Internet hatte, von Andreas Brunhard bis Zedekia Josef. Wir holten uns in der Tanke etwas Essen und Trinken, während Maria und Eric mit dem Laptop und dem iPhone die Namen googleten. Anhand des im System angegebenen Geburtsdatum und dem zugeordneten Ort konnten sie nach und nach den Namen sogar Adressen zuordnen.

Johnny schlürfte einen Kaffee to go aus einem Pappbecher und meinte: „Seht ihr, wir haben 49 der Namen eine Adresse zugeordnet. Und Dr. Weinberg tauchte zwar nicht im System auf, er wäre auch schön blöd, aber seine Adresse lässt sich ja einfach auf der Firmenhomepage der Chiang-Shih GmbH finden. Also, ich bin dafür, wir schicken den angeblichen Blutsaugern ihre Adressen. Wenn ich mich nicht irre, dann werden in den nächsten Tagen viele Todesanzeigen in den Zeitungen auftauchen. Es reicht ja schon wenn nur zehn von den 465 Vampiren uns glauben und Rachegefühle verspüren, weil sie ihr ganzes Leben, ihre Familien und zehntausende Euro der großen Lüge geopfert haben. Unsere Email-Datei wäre sozusagen eine schwarze Liste und wir müssten nichts tun, als unterzutauchen und abzuwarten.“

Thoralf nickte und grinste. „Da bin ich deiner Meinung. Sollen die Schweine ruhig bluten. Spätestens, wenn die Vampire merken, dass sie zwar ohne Pillen mithilfe von Phytalin wieder normale Nahrung verdauen können, aber den Suchtentzug durchmachen, werden sie durchdrehen. Noch bevor sie wirklich clean sind, wären die 49 Namen samt Dr. Weinberg Geschichte!“

Z-matsch!
Jeri knallte seinen Hotdog wütend auf den Boden, so dass der Ketchup die meisten von uns anspritzte, mich ausgenommen, da ich wegen meines Beins noch auf der Rückbank. „Ihr habt sie wohl nicht mehr alle! Ihr wollt einen Krieg vom Zaun brechen, der hunderte Tote fordern könnte. Wir wissen doch, dass die Chiang-Shih Mitarbeiter über Security verfügen und außerdem über viel Geld. Sicherlich wird es unter fast fünfhundert Vampiren einen geben, der die Organisation warnt. Sie werden sich mit Waffen eindecken und die Vampire erwarten. Wollt ihr wirklich mitten in Berlin, wo die meisten von Chiang-Shih unseren Recherchen zufolge wohnen, einen Krieg mit Hunderten Opfern? Und denkt an eure Familie! Meint ihr, dass eure Eltern und Yoda unversehrt bleiben. Ihr müsstet sie sofort in Sicherheit bringen. Hättet ihr sowieso schon tun sollen!“

So in Rage hatten wir Jeri noch nie erlebt. Keiner wagte, etwas zu erwidern und so hörten wir ihm gebannt zu, während er weitersprach: „Doch damit nicht genug. Auch ihr wäret nirgendwo mehr sicher, wenn auch nur einer von Chiang-Shih überlebt und flieht. Das Geld könnte er retten und euch Kopfgeldjäger ohne Ende auf den Hals hetzten. Ich sage euch was, ich glaube im Gegensatz zu euch nicht nur an Gott, sondern auch an die Gerechtigkeit. Ich glaube daran, dass die Polizei alles aufklären könnte, wenn wir ihr helfen würden. Wir haben Namen und Adressen. Wir haben das System geknackt. Eric hat, während Maria und Dave weg waren, alle anderen Admins rausgeschmissen, damit nur wir die Kontrolle haben. Wir haben in Marc einen Zeugen im Charité, wo Thoralf ihn abgeliefert hat. Wir haben das Waterbording-Video von Tamara. Wir haben die Schusslöcher in den Autos. Ich weiß, was alles passiert ist, und dass Menschen gestorben sind. Thoralf hat ja sogar einen der falschen Vampire beerdigt. Aber es war reine Notwehr. Unsere Richter werden das so sehen. Wir sollten uns der Polizei stellen und alles offen legen. Die Nachrichten werden das Thema hoch und runter spielen. Jeder Vampir wird Bescheid wissen und jeder von Chiang-Shih wird verstehen, dass sie aufgeflogen sind. Es gibt keinen Grund, euch weiter zu verfolgen, die Sache ist geplatzt. Es ist vorbei. Was geschehen ist, können wir nicht rückgängig machen. Tote werden nicht lebendig. Aber Leute, es gibt Gerechtigkeit! Hier und in Ewigkeit. Ich weiß, dass ihr denkt, lass den Theologiestudent nur reden, aber das muss ich euch sagen: Auf dieser Erde geschieht nichts, was nicht von Gott gestattet wird. Gutes und Schlechtes. Freud und Leid. Gott lässt es zu, um uns unseren freien Willen zu lassen. Er erschuf uns mit der Chance, uns für das Gute, ja, für ihn, oder für das Böse zu entscheiden. Vampire erschuf er keine und auch die Evolution hat sie nie zustande gebracht und wird es auch niemals tun, völlig egal, was Dave sich noch für abstruse Theorien einfallen lässt und im Netz verbreitet. Aber es ist wahr, dass es viel mehr gibt, als wir für möglich halten. Statt den Wunschgestalten unserer Fantasie, egal ob Vampire oder Elfen, gab es tatsächlich einen perfekten Menschen. Es war Jesus Christus, der Sohn Gottes, der vor über zweitausend Jahren auf die Erde kam, um den Menschen von Gottes Liebe zu erzählen. Er lebte das perfekte Leben. Aber auch er war nicht unsterblich, man kreuzigte ihn. Und am Kreuz starb er stellvertretend für alle unsere Schuld, so dass wir wieder Frieden mit Gott haben können, wenn wir daran glauben und im Gebet um Vergebung bitten. Gott erweckte seinen Sohn an Ostern wieder auf und nun herrscht er zur Rechten Gottes im Himmel und wird am Jüngsten Gericht alle Menschen richten, auf dass alle, die an ihn glauben, ewiges Leben haben werden! Könnt ihr eine solche Todesliste vor einem irdischen und himmlischen Gericht rechtfertigen? Ich jedenfalls kann es nicht! Ich bitte euch, lasst Gnade walten, ringt um Vergebung und lasst nicht zu, dass aus Bösem noch schlimmeres erwächst!“

Jeri sah in die Runde und wir staunten. Eine solche Rede hatten wir ihm gar nicht zugetraut. Und dabei wusste ich ganz genau, dass er Recht hatte! Mit allem. Er hatte vollkommen Recht. Ich würde mich von den anderen nicht mehr vom Gegenteil überzeugen lassen. Wir würden sofort Marc im Krankenhaus besuchen, unsere Eltern anrufen und sie dazu überreden, ein paar Tage zu verschwinden, um dann sofort und unverzüglich zur Polizei zu gehen. Sicher würden sie uns zuerst nicht glauben, aber die Pistolen und das Video von Tamara, was Thoralf in seinem Postfach hatte, würde sie sicherlich eines Besseren belehren!

Nach einer hitzigen Diskussion schlossen sich die anderen schließlich Jeri und mir an. Wir fuhren zu Marc ins Krankenhaus, dem es Gott sei Dank – und so meinte ich es dieses Mal wirklich – besser ging. Der Notarzt sah sich auch mein Bein an und gab mir eine Wundsalbe. Das Problem würde sich von alleine lösen. Dann machten wir uns auf zum Polizeipräsidium, wo wir uns darauf einigten, dass ich im Auto warten würde. Im Notfall musste einer sicherstellen, dass Marc und unsere Eltern untertauchten, falls man uns für wahnsinnig halten und einsperren sollte.

Nun sitze ich hier auf dem Fahrersitz des Autos auf einem Parkplatz gegenüber dem Polizeipräsidium. Während ich diese Geschichte zu Ende schreibe, spähe ich immer einmal zum Haupteingang, doch noch hat sich keiner blicken lassen und meine Freunde waren schon seit vier Stunden in dem Polizeipräsidium. Offensichtlich, war noch keiner der Polizisten gekommen, um mich zu verhaften. Und sollte das doch passieren, ist es umso wichtiger, dass ich diesen Blogeintrag so schnell wie möglich online stellte, damit ihn jeder lesen und sich von der Wahrheit überzeugen kann.

Langsam steigt die Angst in mir hoch, ob doch etwas schief gelaufen ist? Doch gerade summt mein Handy. Ich habe eine Nachricht bekommen. Sie ist von Maria. In der SMS steht: „Sie glauben uns! :) Sie schicken schon das SEK, um die Band vorläufig festzunehmen. Wir haben es geschafft. Es ist vorbei!“




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