18.
Blogeintrag
Es muss enden!
„Dave!“, eine Stimme drang in
mein Bewusstsein und hob sich seltsam von dem seichten Surren in meinen Ohren
ab.
„Dave!“, wiederholte die Stimme
wieder und mich traf ein kräftiger Schlag auf die Wange.
Ich schnappte nach Luft und
zuckte hoch. Kräftige Arme zogen mich, bis ich saß. Der Schleier vor meinen
Augen löste sich und ich sah einen kräftigen Mann vor mir knien. Er war in eine
Jeans und ein sportliches T-Shirt gehüllt. Ich schüttelte den Kopf und vertrieb
so die Schlieren und das Schwarz vor meinen Augen.
Dann erkannte ich Johnny vor mir.
Er hatte mich auf die harte Tour geweckt, wie ich merkte. Offensichtlich hatte
Wasser dazu nicht ausgereicht, denn mein T-Shirt war klitschnass. „Was ist
los?“, fragte ich mich und starrte in verschiedene Gesichter, die mich
neugierig ansahen.
Da standen neben Maria und
Thoralf samt Schwester auch noch Eric und Jeri. Die zwei Anzugträger lagen auf
dem Bauch. Man hatte ihnen die Hände mit ihrem eigenen Kabelbinder, so wie die
Fußgelenke verschnürt.
„Wir haben euch gefunden.“,
stellte Johnny ziemlich einfach fest und schaute mir tief in die Augen, um
meinen Zustand zu prüfen. „Wie geht es dir?“
Dann leuchtete er mich mit einer
Taschenlampe so an, dass es blendete. „Ja, gut. Mach das Licht weg.“, gab ich
von mir und erhob mich.
Die wackeligen Beine trugen mich
und ich sah ein Lächeln bei meinen Freunden. Thoralf ließ sich als erstes zu
einer Erklärung herab: „Sie haben sich durch die Security am Eingang gekämpft
und unseren letzten Standpunkt mit Erics iPhone ermittelt. Als Johnny die Türe
auftrat, warf ich mich auf eine der Wachen. Maria half mir. Jeri beförderte den
anderen mit einem gezielten Site-Kick zu Boden.“
„Dann nichts wie weg!“, stellte
ich fest und sah dankbar in die Runde.
Aber Eric schüttelte den Kopf.
„Das geht nicht. Auch wenn die sicherlich bald mit einer kleinen Privatarmee
anrücken. Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir unbedingt den Zugang zu einem
ihrer lokalen PCs brauchen.“
„Wieso das dann?“, fragte ich
völlig verdattert. „Wir haben doch Zugang zum System.“
Johnny klärte mich auf, bevor
Eric es konnte: „Ja, das schon. Aber das System ist ja Teil des Theaters von
Chiang-Shih. Im System konnten wir nicht rausfinden, wer nun Vampir ist und wer
zur Organisation als solches gehört. Und Maria hatte gerade die geniale Idee,
dass wir den sozusagen echten Vampiren eine Email schicken könnten, in denen
wir sie aufklären und zum Kampf gegen die Organisation aufrufen. Dazu müssen
wir aber wissen, an wen diese Email gehen darf. Würde Chiang-Shih sie auch
bekommen, wär der Plan Geschichte.“
„Genug jetzt!“, befahl Thoralf.
„Labern können wir später. Lasst uns einen Rechner suchen, das Teil knacken und
verschwinden. Ich will meinen Kopf nicht unnötig lang für euren waghalsigen
Plan aufs Spiel setzen!“
Er hatte Recht. Wir verließen den
Folterraum und verschlossen die Tür hinter uns. Dann suchten wir gemeinsam den
Gang vor uns ab. Johnny verteilte sein Waffenarsenal an uns. Jeder erhielt ein
Schwert oder eine Axt. Eric und Johnny behielten die zwei P99 für sich. Bei
ihnen war sie aufgrund ihrer langen Softairerfahrung am besten aufgehoben.
Die meisten Türen in dem
kaltweißen Gang waren seltsamerweise offen. Doch die Räume waren leer. Voller
Angst vor dem Kommenden beeilten wir uns, so gut es ging.
Irgendwann entdeckte Jeri eine
verschlossene Tür. „Zur Seite!“, befahl Johnny und richtete den Lauf der
Walther auf das Schloss.
Dann schoss er. Die Kugel prallte
an dem Türschloss ab und schlug in die Wand dicht neben Johnny. Hätte er ganz
gerade geschossen, wäre er getroffen worden. „Ui, das war ein knapper
Querschläger!“, flüsterte Johnny.
Aber er ließ uns keine Zeit, uns
von dem Schock zu erholen. Mit Anlauf sprang er gegen die Tür und trat sie mit
einem gezielten Tritt auf.
Zu unserer Freude stand in dem
Raum tatsächlich ein Computer. Eric drückte seine Waffe Jeri in die Hand und setzte
sich vor den PC. „Bewacht den Eingang!“, sagte er.
Für meinen Geschmack fuhr der
Rechner viel zu langsam hoch. „Ha, da ist ja immer noch Windows 2000 drauf. Was
für ein Schrott. Da kann man bei der Benutzerkennung mit Abbrechen und ein paar
Kniffen jeden Schutz umgehen! Einfacher als die Kindersicherungen, die uns
früher zuhause vom Zocken abhalten sollten!“, lachte er.
Es dauerte auch gar nicht lange,
da hatte er den altmodisch anmutenden Rechner geknackt. Er klickte sich in das
lokale Netzwerk und stellte fest, dass es viele Rechner in dem Gebäude gab, die
am Intranet angeschlossen waren. „Geh mal hier auf geteilte Dateien. Und hier
auf Geschäfte.“, navigierte ihn Maria, die irgendwie ein Gespür für die
richtigen Ordner hatte.
Und tatsächlich dauerte es nicht
lang und Eric öffnete eine Excel-Datei, die den verheißungsvollen Namen
„Kunden“ trug. Eric scrollte die Liste von verschiedenen Namen, wie „Marcel
Frank, alias Dexter“, herunter. Und tatsächlich waren es 465 Namen, die
eingetragen waren. Fein säuberlich waren alle möglichen Informationen
aufgeführt, wie Geburtsdatum, Wohnort, Abschlüsse, Hobbies, Kontaktpersonen,
Familie und so fort. Sogar die Anzahl und die Daten der bestellten Blutpräparate
waren vermerkt.
„Geile Datei! Schick sie sofort
an unsere Emails, die kennt Chiang-Shih sowieso schon!“, grinste Thoralf.
Eric gehorchte und löschte die
Email samt Anhang anschließend. Dann fuhr er den Rechner ordnungsgemäß wieder
runter. Er konnte es einfach nicht leiden, wenn jemand schlecht mit technischen
Geräten umging.
„Jetzt aber nichts wie raus!“,
befahl Johnny und alle folgten ihm sofort.
Eric ließ sich seine Pistole
wieder geben. Gemeinsam mit Johnny bildete er die Vorhut. Johnny steuerte uns
gekonnt durch das Wirrwarr an Gängen, bis wir über eine kleine Treppe hinunter
kamen. Unten gab es eine Notausgangstüre. Johnny öffnete sie trotz des schrillen
Alarms und hielt uns anderen die Tür auf.
Wir rannten nach draußen über
einen dunklen Parkplatz, der nach einem Firmengelände aussah, auf eine Mauer zu.
„Da müssen wir drüber klettern. Dahinter parkt das Auto!“, befahl Johnny und
spähte in der Dunkelheit der Nacht nach Feinden.
Ein Blick auf meine Uhr verriet
mir, dass es sechs Uhr morgens war. Bald würde die Sonne aufgehen.
Plötzlich hörte man wildes
Bellen. Männer, die ebenfalls schwarze Anzüge trugen und Waffen bei sich
hatten, leuchteten mit Taschenlampen nach uns. Dann ließen sie ihre Dobermänner
von den Leinen. „Die werden uns zerfleischen!“, rief ich ängstlich und
klammerte den Griff meines japanischen Schwertes umso fester.
Die feindlichen Männer gaben aus
ihren Pistolen Schüsse auf uns ab, trafen uns aber nicht, da sie noch zu weit
weg waren. Dafür kamen ihre Hunde immer näher. Es waren etwa fünfzehn. Sie
würden uns erreichen, ehe wir alle auf die Mauer geklettert waren, das war
sicher. Ich, Maria und Tamara würden es definitiv nicht mehr schaffen, auch
wenn Thoralf, der bereits an der drei Meter hohen Mauer angekommen war, mit den
Händen für uns schon eine Räuberleiter formte.
Eric und Johnny stiegen mit den
Füßen in Thoralfs Hände und ließen sich nacheinander nach oben wuchten. Sie
zogen sich mit den Händen hoch, ohne die Pistolen loszulassen. Oben auf der
Mauer knieten sie sich hin und zielten auf die Dobermänner. Krachend lösten
sich Schüsse und streckten die ersten Köter nieder. Ich jubelte leise. Jeri
kletterte die Mauer hoch. Die Hunde kamen deutlich näher. Doch da die P99 keine
manuelle Sicherung besaßen, konnten Eric und Johnny erneut feuern. Wieder
streckten sie zielsicher zwei weitere Dobermänner zu Boden. Jetzt zog Jeri
Tamara zu sich hoch. Die Hunde hatten uns beinahe erreicht. Wieder knallten
zwei Schüsse in der Nähe und weitere in der Ferne. Die beschissen Männer von
Chiang-Shih waren fast so nah, dass ihre Schüsse treffen konnten!
Klick, Klick!
Dieses Mal war nur einer der
Hunde getroffen worden und überschlug sich in seinem Lauf, bis er liegen blieb.
Immer noch zehn Hunde waren übrig. Mit lautem Knurren und gefletschten Zähnen
sprangen sie auf mich zu. Jetzt schob Thoralf auch Maria nach oben. Ich konnte
nicht anders. Ich musste das Schwert aus der Scheide ziehen. Mit einem lauten
Schrei und einem kurzen Stoßgebet auf den Lippen schlug ich nach dem vordersten
Dobermann. Knirschend glitt das Metall an dem Schädel ab, brachte dem Hund aber
eine solche Wunde bei, dass er heulend zurück wich.
Aus den Augenwinkeln sah ich, wie
die anderen Thoralf die Hände entgegenstreckten und ihn hochzogen, bevor ihn
die Hunde erreichten. Ich war allein. Wieder schwang ich mein Schwert und traf
einen Dobermann gerade noch, bevor er mir in die Kehle beißen konnte. Schüsse
krachten und zwei weitere Hunde krachten auf den Boden. Jetzt schlugen auch die
Kugeln der Feinde sehr nahe bei mir ein. Auch auf die Freunde auf der Mauer
wurde geschossen. Mit ganzer Kraft schleuderte ich das Schwert in die Richtung
der übrigen Hunde. Dann sprang ich zur Mauer und riss die Arme nach oben.
Gleich sechs Arme streckten sich zu mir herunter. Gerade als ich absprang,
spürte ich einen reißenden Schmerz im Fußgelenk. Ein Dobermann schlug mir die
spitzen Zähne ins Fleisch. Ich schrie auf und hätte beinahe losgelassen, aber
Jeris starker Griff ließ nicht los. Der Schmerz brannte in meinem ganzen Bein,
ja ich konnte es nicht einmal mehr bewegen. Mit vereinen Kräften hievten mich
die anderen nach oben. Der Dobermann ließ nicht los. Kugeln schlugen direkt
neben meinem Kopf und meinen Beinen in die Wand. Die Feinde waren stehen
geblieben und zielten auf uns. Ich hörte, wie eine Kugel spritzend in weiches
Fleisch drang. Der Dobermann an meinem Bein heulte auf und ließ endlich los.
Wieder schossen Wellen der Schmerzen durch mein rechtes Bein.
Endlich schafften es die anderen,
mich auf die Mauer zu ziehen. Johnny und Eric sandten noch zwei Warnschüsse zu
den Gegnern, während Thoralf schon auf der anderen Mauerseite herabsprang. Er
half den anderen herab. Johnny hievte mich zu den anderen herunter, die mich in
Empfang nahmen. Unten angekommen legte Jeri mich per Sanitätergriff über die
Schulter. Johnny und Eric sprangen herab und federten sich auf dem weichen
Erdboden ab. Eric steckte die Knarre in die Jeans und zog einen Autoschlüssel.
Er drückte auf Fernsteuerung und ich sah dreißig Meter vor uns ein Auto
aufleuchten. So schnell es nur irgend ging, sprinteten wir zum Auto. Johnny
hielt Jeri die Tür auf, der mich hinein wuchtete und dann hinterher krabbelte.
Johnny stieg durch den Kofferraum nach Maria hinein. Und Eric ließ den Motor
an. Er startet mit quietschenden Reifen. Gerade noch rechtzeitig, wie ich im
Rückspiegel sah. Die ersten Wachmänner waren ebenfalls auf der Mauer
angekommen. Bald eröffneten sie das Feuer. Eine Kugel traf das Glas im Kofferraum
und blieb in einem Sitz stecken. Alle außer Eric kauerten sich auf den Boden
des Autos. Zwei weitere Kugeln flogen durch das bruchsichere Glas und
hinterließen runde Löcher. Aber getroffen wurde keiner, als wir endlich aus der
Reichweite gekommen waren. Eric gönnte dem Motor keine Pause. Er beschleunigte,
so sehr es die Straße in dem Industriegebiet zuließ. Dann bog er auf eine
Straße nach rechts und später wieder nach links. Völlig geschockt atmeten wir
alle laut aus. Unsere Herzen schlugen uns bis zum Hals, meins ganz besonders.
Jeden Schlag konnte ich an dem Pochen meines Beines spüren. Es schmerzte
furchtbar.
Jeri sah sich die Wunde an,
während Eric auf eine größere Hauptstraße abbog, die aus dem Industriegebiet
auf die Straßen Berlins führte. „Sei froh, dass es kein Mensch war, der sich in
dein Bein verbissen hat. Dann wäre die Infektionsgefahr wesentlich größer!“,
sagte er. „Aber keine Angst, es ist keine wichtige Ader verletzt worden. Es
wird sehr stark weh tun, aber dein Bein wirst du sicher nicht verlieren. Es ist
eine Fleischwunde. Der Knochen wurde wohl nicht verletzt.“
Thoralf drehte sich vom
Beifahrersitz zu mir zur Rückbank. „Hier, ein paar Aspirin. Die lagen vorne in
eurer Ablage.“
Dankbar schluckte ich drei der
Tabletten mit einem Schluck schalen Wassers, das aus einer Flasche unter der
Rückbank kam.
Während Eric durch die Straßen
von Berlin fuhr, um mögliche Verfolger abzuschütteln, simste Maria dem
Krankenhaus, um nach dem verletzen Chiang-Shih-Chef im Kellergebäude zu sehen.
Als sie gerade fertig war, stellte Johnny die Frage, die uns allen unter den
Nägeln brannte: „Und was nun? Wir haben die Liste!“
Eric konzentrierte sich auf
möglichst unauffälliges Verhalten im Straßenverkehr, während er sagte: „Maria
hat doch ihr Smartphone dabei. Da ist die Email mit der Liste sicher schon
angekommen. Maria kann eine Email an diese Liste schreiben. Wir müssen die
Vampire darüber aufklären, dass sie aufs bitterste verarscht worden sind. Wir
erklären ihnen, wie die Blutpräparate funktionieren und geben ihnen Tipps, wie
sie die Sucht überwinden können. Wir rufen sie auf, nach Berlin zu kommen. Bis
dahin haben wir sicherlich die Kunden von den Tätern im System getrennt und
wissen, wer zu den Bösen gehört. Wir können den Vampiren dann genau nennen, wer
die Verantwortlichen sind. Gemeinsam können wir Chiang-Shih ein für alle Mal
den Gar aus machen!“
„Bei der Gelegenheit kannst du
unseren Eltern gleich Bescheid sagen, dass es uns gut geht, aber wir weg
mussten, um einem kranken Freund zu helfen. Wir klären sie später auf.“,
ergänzte Johnny.
„Ok, was soll ich schreiben?“,
hakte Maria nach und zwang uns alle, unsere Gedanken zu konzentrieren.
Gemeinsam erarbeiteten wir
folgendes Schreiben: „Sehr geehrte Vampire der Gilde Chiang-Shih, Chiang-Shih
ist ein Betrug! Die Blutpräparate, die ihr zu euch nehmt sind keine Lösung,
sondern Ursache des Problems. Dies ist kein Scherz! Wir haben die Pillen untersucht
und mit Doktor Weinberg dem Chef der Chiang-Shih GmbH gesprochen. Sie sind in
drei Schichten aufgebaut und enthalten erstens pH-Senker für das
Wiederintaktwerdens des Magens und zweitens Suchtmittel, von denen
Entzugserscheinungen kommen, und drittens eine Mischung aus Pepstatin und
Iodacetat, die die Magensäurebildung hemmt und so die Verdauung von Eiweißen
durch Pepsin unmöglich macht. Die Wirkung der inneren Schicht setzt erst einige
Tage später ein, wenn die äußeren Schichten verdaut wurden. Wenn ihr uns nicht glaubt, probiert es aus
und zerschneidet eine Pille! Ihr solltet aufhören, die Blutpräparate zu
essen, sie machen euch noch abhängiger! Die Suchtmittel in ihnen bestehen v.a.
aus Nikotin, Coffein und Speed, sind also nicht so halluzinogen, außer beim
Entzug. Es besteht eine Gefahr der Psychochose beim plötzlichen Absetzen.
Besser als ein Kalter Entzug, ist das langsame Absetzen mit immer geringeren
Dosen. Ihr könnt zur Unterstützung zum Beispiel Naltrexon
verwenden, das man unter dem Namen Adepend bekommt (Achtung vor Überdosis!). Nach wenigen Tagen wird euer Magen
auch ohne Präparate wiederhergestellt sein und ihr könnt normale Nahrung zu
euch nehmen! Beschleunigen könnt ihr den Vorgang mit Phytalin und
Hydrochlorsäure! Es gibt keinen Vampirismus! Es ist alles eine Täuschung!
Testet selbst aus, ob wir Recht haben oder nicht. Chiang-Shih beutet
euch auf das Übelste aus! Wir werden euch bald eine weitere Email schicken, in
der wir die Namen aller derer nennen, die bei Chiang-Shih arbeiten und sich
nicht für Vampire halten, weil sie die Droge nicht nehmen! Wir schicken euch
den Verteiler offen. Nehmt unter einander Kontakt auf und sp Recht euch ab, um
zu sehen, dass wir Recht haben.
Wir melden uns bald wieder!
Gezeichnet, Thoralf der
Vampirjäger, Eric der Hacker und Dave der Dr. Darwin samt Freunden.“
Maria schickte die Email an die
Emailliste aus der Datei und zur Sicherheit auch an alle 207 Namen aus der
Excel-Datei, die gleichzeitig im Chiang-Shih-System vorkamen. Nach einem Abgleich,
der etwa eine Stunde dauerte, und während dem Eric an einer Tankstelle
angehalten und den Tank nachgefüllt hatte, hatten wir dank Admin-Passwort alle
53 Namen beisammen, die zwar im System aber nicht in der Kundenliste
auftauchten. Maria ordnete alle Namen alphabetisch auf einem Laptop, den Eric
mitgebracht hatte und der über einen Internetstick Internet hatte, von Andreas
Brunhard bis Zedekia Josef. Wir holten uns in der Tanke etwas Essen und Trinken,
während Maria und Eric mit dem Laptop und dem iPhone die Namen googleten. Anhand
des im System angegebenen Geburtsdatum und dem zugeordneten Ort konnten sie
nach und nach den Namen sogar Adressen zuordnen.
Johnny schlürfte einen Kaffee to
go aus einem Pappbecher und meinte: „Seht ihr, wir haben 49 der Namen eine
Adresse zugeordnet. Und Dr. Weinberg tauchte zwar nicht im System auf, er wäre
auch schön blöd, aber seine Adresse lässt sich ja einfach auf der
Firmenhomepage der Chiang-Shih GmbH finden. Also, ich bin dafür, wir schicken
den angeblichen Blutsaugern ihre Adressen. Wenn ich mich nicht irre, dann
werden in den nächsten Tagen viele Todesanzeigen in den Zeitungen auftauchen.
Es reicht ja schon wenn nur zehn von den 465 Vampiren uns glauben und Rachegefühle
verspüren, weil sie ihr ganzes Leben, ihre Familien und zehntausende Euro der
großen Lüge geopfert haben. Unsere Email-Datei wäre sozusagen eine schwarze
Liste und wir müssten nichts tun, als unterzutauchen und abzuwarten.“
Thoralf nickte und grinste. „Da
bin ich deiner Meinung. Sollen die Schweine ruhig bluten. Spätestens, wenn die
Vampire merken, dass sie zwar ohne Pillen mithilfe von Phytalin wieder normale
Nahrung verdauen können, aber den Suchtentzug durchmachen, werden sie
durchdrehen. Noch bevor sie wirklich clean sind, wären die 49 Namen samt Dr.
Weinberg Geschichte!“
Z-matsch!
Jeri knallte seinen Hotdog wütend
auf den Boden, so dass der Ketchup die meisten von uns anspritzte, mich
ausgenommen, da ich wegen meines Beins noch auf der Rückbank. „Ihr habt sie
wohl nicht mehr alle! Ihr wollt einen Krieg vom Zaun brechen, der hunderte Tote
fordern könnte. Wir wissen doch, dass die Chiang-Shih Mitarbeiter über Security
verfügen und außerdem über viel Geld. Sicherlich wird es unter fast fünfhundert
Vampiren einen geben, der die Organisation warnt. Sie werden sich mit Waffen
eindecken und die Vampire erwarten. Wollt ihr wirklich mitten in Berlin, wo die
meisten von Chiang-Shih unseren Recherchen zufolge wohnen, einen Krieg mit
Hunderten Opfern? Und denkt an eure Familie! Meint ihr, dass eure Eltern und
Yoda unversehrt bleiben. Ihr müsstet sie sofort in Sicherheit bringen. Hättet
ihr sowieso schon tun sollen!“
So in Rage hatten wir Jeri noch
nie erlebt. Keiner wagte, etwas zu erwidern und so hörten wir ihm gebannt zu,
während er weitersprach: „Doch damit nicht genug. Auch ihr wäret nirgendwo mehr
sicher, wenn auch nur einer von Chiang-Shih überlebt und flieht. Das Geld
könnte er retten und euch Kopfgeldjäger ohne Ende auf den Hals hetzten. Ich
sage euch was, ich glaube im Gegensatz zu euch nicht nur an Gott, sondern auch
an die Gerechtigkeit. Ich glaube daran, dass die Polizei alles aufklären
könnte, wenn wir ihr helfen würden. Wir haben Namen und Adressen. Wir haben das
System geknackt. Eric hat, während Maria und Dave weg waren, alle anderen
Admins rausgeschmissen, damit nur wir die Kontrolle haben. Wir haben in Marc
einen Zeugen im Charité, wo Thoralf ihn abgeliefert hat. Wir haben das
Waterbording-Video von Tamara. Wir haben die Schusslöcher in den Autos. Ich
weiß, was alles passiert ist, und dass Menschen gestorben sind. Thoralf hat ja
sogar einen der falschen Vampire beerdigt. Aber es war reine Notwehr. Unsere
Richter werden das so sehen. Wir sollten uns der Polizei stellen und alles
offen legen. Die Nachrichten werden das Thema hoch und runter spielen. Jeder
Vampir wird Bescheid wissen und jeder von Chiang-Shih wird verstehen, dass sie
aufgeflogen sind. Es gibt keinen Grund, euch weiter zu verfolgen, die Sache ist
geplatzt. Es ist vorbei. Was geschehen ist, können wir nicht rückgängig machen.
Tote werden nicht lebendig. Aber Leute, es gibt Gerechtigkeit! Hier und in
Ewigkeit. Ich weiß, dass ihr denkt, lass den Theologiestudent nur reden, aber
das muss ich euch sagen: Auf dieser Erde geschieht nichts, was nicht von Gott
gestattet wird. Gutes und Schlechtes. Freud und Leid. Gott lässt es zu, um uns
unseren freien Willen zu lassen. Er erschuf uns mit der Chance, uns für das
Gute, ja, für ihn, oder für das Böse zu entscheiden. Vampire erschuf er keine
und auch die Evolution hat sie nie zustande gebracht und wird es auch niemals
tun, völlig egal, was Dave sich noch für abstruse Theorien einfallen lässt und
im Netz verbreitet. Aber es ist wahr, dass es viel mehr gibt, als wir für
möglich halten. Statt den Wunschgestalten unserer Fantasie, egal ob Vampire
oder Elfen, gab es tatsächlich einen perfekten Menschen. Es war Jesus Christus,
der Sohn Gottes, der vor über zweitausend Jahren auf die Erde kam, um den
Menschen von Gottes Liebe zu erzählen. Er lebte das perfekte Leben. Aber auch
er war nicht unsterblich, man kreuzigte ihn. Und am Kreuz starb er
stellvertretend für alle unsere Schuld, so dass wir wieder Frieden mit Gott
haben können, wenn wir daran glauben und im Gebet um Vergebung bitten. Gott
erweckte seinen Sohn an Ostern wieder auf und nun herrscht er zur Rechten
Gottes im Himmel und wird am Jüngsten Gericht alle Menschen richten, auf dass
alle, die an ihn glauben, ewiges Leben haben werden! Könnt ihr eine solche
Todesliste vor einem irdischen und himmlischen Gericht rechtfertigen? Ich jedenfalls
kann es nicht! Ich bitte euch, lasst Gnade walten, ringt um Vergebung und lasst
nicht zu, dass aus Bösem noch schlimmeres erwächst!“
Jeri sah in die Runde und wir
staunten. Eine solche Rede hatten wir ihm gar nicht zugetraut. Und dabei wusste
ich ganz genau, dass er Recht hatte! Mit allem. Er hatte vollkommen Recht. Ich
würde mich von den anderen nicht mehr vom Gegenteil überzeugen lassen. Wir
würden sofort Marc im Krankenhaus besuchen, unsere Eltern anrufen und sie dazu
überreden, ein paar Tage zu verschwinden, um dann sofort und unverzüglich zur
Polizei zu gehen. Sicher würden sie uns zuerst nicht glauben, aber die Pistolen
und das Video von Tamara, was Thoralf in seinem Postfach hatte, würde sie
sicherlich eines Besseren belehren!
Nach einer hitzigen Diskussion
schlossen sich die anderen schließlich Jeri und mir an. Wir fuhren zu Marc ins
Krankenhaus, dem es Gott sei Dank – und so meinte ich es dieses Mal wirklich –
besser ging. Der Notarzt sah sich auch mein Bein an und gab mir eine Wundsalbe.
Das Problem würde sich von alleine lösen. Dann machten wir uns auf zum
Polizeipräsidium, wo wir uns darauf einigten, dass ich im Auto warten würde. Im
Notfall musste einer sicherstellen, dass Marc und unsere Eltern untertauchten,
falls man uns für wahnsinnig halten und einsperren sollte.
Nun sitze ich hier auf dem Fahrersitz des Autos auf einem Parkplatz
gegenüber dem Polizeipräsidium. Während ich diese Geschichte zu Ende schreibe,
spähe ich immer einmal zum Haupteingang, doch noch hat sich keiner blicken
lassen und meine Freunde waren schon seit vier Stunden in dem Polizeipräsidium.
Offensichtlich, war noch keiner der Polizisten gekommen, um mich zu verhaften.
Und sollte das doch passieren, ist es umso wichtiger, dass ich diesen
Blogeintrag so schnell wie möglich online stellte, damit ihn jeder lesen und
sich von der Wahrheit überzeugen kann.
Langsam steigt die Angst in mir hoch, ob doch etwas schief gelaufen ist?
Doch gerade summt mein Handy. Ich habe eine Nachricht bekommen. Sie ist von
Maria. In der SMS steht: „Sie glauben uns! :)
Sie schicken schon das SEK, um die Band vorläufig festzunehmen. Wir haben es
geschafft. Es ist vorbei!“
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