Sonntag, 29. Januar 2017

16. Das Geheimnis



16. Blogeintrag
Das Geheimnis

Schnell fliegen meine Finger über die Tastatur in einem Internet-Café, das ich zuvor aus Anonymitätsgründen noch nie betreten hatte. Ich werde mich beeilen, die weiteren Ereignisse zu beschreiben, nachdem wir durch Experimente herausgefunden hatten, dass Marcs Magen untersäuert war. Wie Marc erklärt hatte, nahm er Vampipräparate, die ihm helfen sollten. Wir vermuteten allerdings, dass sie viel mehr Ursache als Lösung des Problems waren…

 „Alles klar. Wir haben eine Diagnose. Wenn wir den pH jetzt über längere Zeit testen, werden wir auch feststellen, ob es tatsächlich an den Präparaten liegt. Bis dahin können wir mit Ptyalin aus der Apotheke helfen. Und zusätzlich kann man den Magensäuremangel durch die Einnahme von Kapseln mit Pepsin und Hydrochlor­­säure, also Salzsäure, aus der Zuckerrübe beheben.“, erklärte ich und betrachtete völlig in Gedanken verloren den Indikatorstreifen.
„Müssen wir jetzt noch mehr warten?“, fragte Johnny voller Anspannung.
„Nun, das hängt davon ab, was unser Ziel ist. Wenn wir helfen wollen, wissen wir schon, was zu tun ist. Wenn wir wissenschaftlich diese Form des Vampirismus erklären wollen, müssen wir weitere Tests machen.“, sagte ich.

Jeri meinte: „Wir werden der Wahrheit auf die Spur kommen. Und ich sage euch, ich hatte von Anfang an Recht. Das Ganze ist eine Sucht, eine menschengemachte Krankheit, anstatt einer evolutionären Entwicklung. Vampirismus ist viel zu unwahrscheinlich, als dass es einfach so entstehen würde…“

Jetzt schaltete sich Erik wieder ein: „Das ist alles nur nebensächlich! Natürlich wollen wir Marc helfen. Das kriegt Dave schon auf die Reihe, da bin ich mir sicher. Wir müssen auch nur warten und schauen, ob die Medis anschlagen, dann wissen wir Bescheid. Mich beschäftigt was anderes. Wie können wir sicher gehen, dass wir überleben? Wir haben gerade gelüftet, wie man den Vampirismus behandeln kann. Ist euch klar, was das bedeutet? Wir sind ab jetzt die Top-Feinde von Chiang-Shih! Marc ist ein Aussteiger, ein Verräter. Wenn davon irgendwas durchsickert, dann sind wir dran!“
Johnny nickte eifrig: „Wir haben erlebt, was passiert, wenn wir in ihren Fokus kommen. Wir müssen uns schützen. Und Marc ist unsere undichteste Stelle!“
Marc hockte immer noch gefesselt am Boden. Er hatte sich den Mund mit einem Handtuch saubergewischt und starrte uns die ganze Zeit voller Neugier an. Man spürte ihm ab, dass er sich darüber freute, dass wir ihm wahrscheinlich medizinisch helfen konnten. Mit fester Stimme sagte er: „Ich bin keine undichte Stelle. Ich will aussteigen. Ich habe schon, bevor ich zu euch kam, alle Verbindungen gekappt. Als Nachfolger von Steve habe ich einen lokalen Administrator-Status im Netzwerk der Chiang-Shih. Ich habe alles über euch gelöscht, was da noch gespeichert war. Euer Versuch, alles zu löschen, hat nämlich nicht ganz funktioniert. Der zuständige Admin hätte die Daten nämlich wiederherstellen können. Und, um euch das zu beweisen, werde ich euch ins Netzwerk lassen.“

Erics Augen leuchteten vor Vergnügen. Ihn reizte das Neue, das Unbekannte am Programm dieser Vampir-Sekte. Sofort drehte er seinen Laptop, den er die ganze Zeit natürlich bei uns im Keller gehabt hatte, zu Marc: „Dann zeig mal, was du drauf hast. Ich würde am liebsten den Quellcode dazu sehen. Kannst du darauf zugreifen? Immerhin ist der verschlüsselt.“

Plötzlich sprang die Kellertür auf. Maria stand vor uns, mit in die Hüfte gestemmten Fäusten: „Ihr habt sie wohl nicht alle. Ich steh schon ne ganze Weile vor der Tür und höre zu. Ihr wollt euch hier ins Vampirnetz hacken, ohne mir Bescheid zu sagen? Wer ist denn hier im Info-Leistungskurs?“

Ohne ein weiteres Wort stapfte sie zu Johnny, der sie ganz verdattert anstarrte, und riss ihm Marcs Kettenschlüssel aus der Hand. Johnny hatte ihn bisher wie seinen Augapfel beschützt, aber gegenüber seiner kleinen aufgebrachten Schwester wusste er nicht, was er tun sollte. Maria ging zu Marc und schloss ihn von den Fesseln los. Wir waren zu überrumpelt, um zu handeln. Dann sagte meine kleine Schwester: „Das ist gar nicht nötig. Ich habe gehört, dass ihr ihn ja jetzt behandelt. Ich glaube ihm, er wird uns helfen. Und wenn Jeri Recht hat, dann wird er gar nicht stärker sein als vier bewaffnete Männer. Marc, hilfst du uns?“
Marc nickte und streifte froh seine Fesseln ab. Gemeinsam mit Maria setzte er sich mit Eric vor den Laptop. Eric rief die Website auf und Marc loggte sich als Lokal-Admin ein. Dann flogen Erics Finger nur so über die Tastatur. Marc leitete ihn und auch Maria gab ihm hin und wieder Tipps. Johnny, Jeri und ich konnten nichts anderes, als neugierig dabei stehen.
„Hier musst du den Cache laden!“, sagte Marc.
„Hast du schon den Roote-Zugriff?“, fragte Maria. „Damit kannst du alles machen.“
„Ok, ist starte eine Roote-Force-Attacke“, fragte Eric.
Seine Augen glänzten vor Aufregung.
„Was macht er da?“, hakte Jeri nach.
„Ich versuche auf dem Benutzer Roote, das ist der Super-User, das Passwort zu knacken.“, erklärte Eric.
Maria ergänzte: „Geh nicht alphabetisch vor, das dauert ewig. Lass ein Wörterbruch durchlaufen. Erst Englisch, dann Deutsch und anschließend Chinesisch.“
Eric: „Ok, das mache ich. Kann aber dauern. Und es würde nur funktionieren, wenn die sehr unvorsichtig waren. Es kann auch zwei Tage dauern, bis es durch ist.“
Eric startete das Programm, das mit einem Prozentbalken signalisierte, wie viel der jeweiligen Sprache schon durchgelaufen war.
Maria: „Aber ein vernünftiger Server würde nach zehn bis hundert Versuchen abbrechen.“
Eric: „Stimmt, aber guck mal. Das ist gerade schon durchgelaufen. Wir haben schon mehrere hundert Wörter überprüft. Wenn bei Tausend kein Lock kommt, dann könnte es klappen!“

Gemeinsam starrten wir wie gebannt auf den wachsenden Balken. Nach einiger Zeit hatte er die Tausend geknackt.
„Jepp, sie haben keinen Sicherheitsmechanismus drin!“, jubelte Johnny, der vorhatte, Wirtschaftsinformatik zu studieren und sich auch etwas auskannte…

Am nächsten Morgen um sechs Uhr war es endlich soweit. Eric rüttelte uns alle voller Aufregung aus dem Schlaf: „Ich habs. Heureka. Der Hack hat geklappt, wir sind drinnen. Wir haben Zugriff auf alles und auf den gesamten Quellcode.“
Wir sprangen von unseren Betten hoch. Auch Maria, die bei uns geblieben war und Marc, der zu meiner Freude nicht abgehauen war, sondern auf seiner Matratze gelegen hatte. „Zeig her!“, meinte Johnny und drängte sich dicht vor den Laptop. Mehrere tausend Zeilen mir unverständlichen Programmiercodes füllen das Display.
„Echt jetzt? Das ist alles?“, sagte Maria und schaute sich den Quellcode noch einmal genauer an. „Scroll mal da runter!“, befahl sie und zeigte auf das untere Ende des Bildschirms.

Eric gehorchte sofort. Mir kam es zwar ziemlich lang vor, wie er zum Scrollen brauchte, aber Eric schüttelte nur den Kopf: „Unglaublich. Das ist nicht besonders viel. Um genau zu sein, ist es nicht einmal wirklich professionell oder sicher gehalten.“
„Kannst du das alles lesen?“, fragte ich ungläubig.
Eric nickte: „Natürlich, das ist Java hier für die Website… und hier PHP.“

Maria erklärte: „Ein paar Befehle verstehe ich auch. Und guck mal hier, hier stehen die Benutzer. Es wäre doch interessant, festzustellen, wann sich wer angemeldet hat. Daran würde man auch rausfinden, wer zu den alten Vampirtypen gehört. Wer also besonders mächtig ist.“

Das war eine gute Idee. Eric suchte nach einem Tool, das die Daten und Uhrzeiten der Änderungen an der Datei anzeigte. Schließlich wurde er fündig und installierte es. Bald zeigte uns eine rote Schrift im Tool die Änderungsdaten des Quellcodes.
Eric klärte uns auf: „Also, die Seite ist vor gerade mal fünf Jahren online gegangen. Wo, das werde ich noch herausfinden. Innerhalb von zwei Monaten gab es fünf Registrierungen und drei Monate danach kamen gleich Zehntausende dazu. Alle zur gleichen Zeit. Da hat jemand alle Daten gemeinsam hochgeladen. Anschließend gab es hier und da ein paar Anmeldungen. Insgesamt vielleicht zweihundert.“
Diesmal war es Marc, der die wichtige Entdeckung machte: „Leute, guckt euch das an. Die Namen wiederholen sich!“
Wir starrten ihn ungläubig an. Doch dann zeigte er uns auf dem Bildschirm, was er meinte. „Guckt euch das an. Bloodslayer als Namen findet man hier, und hier. Einmal ohne Zahl, dann Bloodslayer69, Bloodslayer73.“
„Da ist was dran.“, gab Eric zu bedenken. „Ich werde mal die Suche starten, ob der Name noch öfters vorkommt. Ich habe keine Lust, alle Zehntausend Namen abzusuchen.“
Mit den Tasten „Strg“ und „F“ öffnete er die Suche und ließ die Datei nach „Bloodslayer“ durchsuchen. Er hatte 51 Treffer.
„Zeig die mal alphabetisch an!“, schlug Maria vor.

Und tatsächlich, wir trauten unseren Augen nicht. Die Namen waren durchnummeriert: Bloodslayer ohne Namen und dann von Bloodslayer40 bis Bloodslayer90. „Heißt das, es sind zugewiesene Namen vom System, so wie unsere Uni-Logins für das Uni-Netzwerk?“, fragte ich verdattert.
Aber Marc schüttelte eifrig den Kopf, so dass die braunen Locken flogen: „Nein. Die Namen sucht man sich definitiv selbst aus. Es ist der Name, den man als Vampir angenommen hat. Ich kenne auch keinen Vampir, der eine Zahl im Namen hat.“
„Dann gibt es den Namen Bloodslayer entweder sehr häufig unter Vampiren oder wir haben es hier mit einer Verschönerung der Statistik zu tun. Das gab es bei Schurkenorganisationen auch schon öfters. Man will mächtiger wirken.“, erklärte Jeri.
Natürlich lag ihm alles daran, die ganze Vampirgeschichte kleinzuspielen, also erwiderte ich: „Das sagst du nur, weil du meinst, dass es eine Art Verschwörung, statt einer biologischen Mutation ist. Verschwörungen sind immer eher klein, Mutationen müssten aber eine große Zahl von Vampiren hervorbringen. Du hast dafür keinen einzigen Beleg!“

Jeri grinste breit: „Doch, den habe ich. Adolf Hitler trat damals in die NSDAP mit einer Nummer mit Fünfhundertpaarundfünfzig. Aber die Partei hatte erst paarundfünfzig Mitglieder. Man wollte Eindruck schinden. Und ich werde es dir beweisen, dass es auch dieses Mal so ist, Dave.“
Jeri zeigte auf den Bildschirm. Eric folgte mit dem Mauszeiger. „Schaut euch die anderen Namen an. Die meisten dieser Vampirnamen, die auf einmal hochgeladen wurden, haben Zahlen. Während die davor und danach keine Zahlen haben, so wie Marc es gesagt hat. Wenn ihr es überprüft, werdet ihr sicher feststellen, dass es immer die Zahlen 40 bis 90 sind. Wollen wir wetten? Hier wurde das System geschönt, damit man glaubt, man habe Zehntausende User, beziehungsweise Mitglieder in Chiang-Shih!“

Keiner wollte ihm so Recht glauben, bis Eric verschiedene Namen durchsucht hatte. Jeri hatte Recht. Es waren immer genau 51 Treffer. Jeri grinste selbstgefällig: „Ich setze noch einen obendrauf. Hier sind nämlich auch die Wohnorte angegeben, beziehungsweise die, wo sie stationiert sind. Und ihr werdet sehen, es sind immer die gleichen 51 Städte. Wenn ihr nichts Besseres zu tun habt, dann lasst einen Algorithmus drüber laufen, der es sortiert. Es sind 51 Städte, sicherlich große und bedeutende, wie New York, Tokio, hier Peking und hier sogar Berlin, Paris, London. Ihr glaubt doch selbst nicht, dass es in jeder Stadt genau gleich viele Vampire gibt? Schaut mal hier, warum sollte bitte schön in Frankfurt genau so viel los sein, wie in Washington? Und, um den Beweis abzuschließen: Schaut euch die Posts der Vampire an. Ihr werdet nie einen dieser Vampire finden, der etwas postet! Warum nicht? Es gibt sie nicht. Sie sind Karteileichen, die niemals gelebt haben. Genau so wart ihr doch auch geschockt, als ihr die große Anzahl an Usern gesehen habt.“

Eric überprüfte alles sofort, was Jeri sagte. Und wir mussten ihm in allem Recht geben. Das war nicht gerade übel von ihm. Er hatte uns tatsächlich bewiesen, dass es gerade einmal zweihundert Mitglieder der Chiang-Shih gab.
„Doch das ist noch nicht alles!“, trumpfte Jeri auf. Er hatte einen richtigen Lauf. „Dass Eric das System einfach so knacken konnte, ohne dass es gesichert war, spricht ebenfalls für meine Theorie. Ich behaupte, dass es eine kleine Sektenähnliche Gemeinschaft ist, die nichts mit Vampiren zu tun hat, außer der Idee, sie seien welche. Diese Sekte verkauft teure Präparate und zwingt ihre Mitglieder, ihnen zu gehorchen, indem sie behauptet, sie seien Vampire. Wären das wirklich Zehntausende weltweit, wären ihnen das FBI und BND schon längst auf den Fersen.“
„Das müssen wir erst beweisen. Noch wissen wir ja gar nicht, ob Marc wieder gesund wird und sein Verdauungssystem nur reversibel geschädigt ist. Ich müsste in meinem organische Chemie-Praktikumsraum die Pillen testen, um mehr darüber herauszufinden. Wir müssen auch abwarten, was mit Marc ist. Bis morgen muss er der Sucht nach den Pillen und dem Hunger nach Blut standhalten, denn dann kommt das Phytalin, das Pepsin und die Hydrochlorsäure per 24h-Express aus den Niederlanden. Marc, hast du vielleicht irgendwo in der Stadt noch solche Pillen?“
Marc schüttelte den Kopf: „Nein, die sind ausgegangen. Ich glaube, ich habe die letzte gegessen, bevor ich zu euch kam. Ich spüre schon, dass in mir wieder der Blutdurst aufsteigt…“
„Du meinst die Sucht nach deinem Mittel!“, korrigierte ihn Jeri.

„Jaja, das mag sein.“, sagte ich. „Aber selbst wenn wir die Pillen hätten, könnten wir sie nicht einfach weiter an Marc geben. Wir brauchen ja Gewissheit. Wenn wir bisher Recht haben und die Pillen sind in mehrere Schichten geteilt, könnten wir trotzdem nicht einfach das Medikament gegen Magenuntersäuerung außen auf der Pille für verwenden, denn hier sind unter Garantie auch schon Suchtstoffe enthalten, wenn Jeris Theorie stimmt…“

Wir wendeten weiter noch alle möglichen Überlegungen hin und her, bis es schließlich Zeit zum Schlafen wurde. Wir teilten die Wachen ein und legten uns dann schlafen. Eric ließ noch ein Programm laufen, was nach der IP-Adresse der Admins und Autoren fahndete. Morgen würden wir so einiges wissen.

*

Doch es wurde keine ruhige Nacht. Uns riss der Schrei einer Frau aus dem Schlaf. Völlig erschreckt fuhren wir hoch und wussten nicht, was geschah, bis einer das Licht anmachte. Ganz offensichtlich war die Wache Maria eingeschlafen…

Voller Schock bleiben unsere Augen an Maria hängen. Sie lag auf dem Boden. Marc kniete über ihr. Sie hatte einen roten Abdruck am Hals. Irgendwie hatte sie die Hand von Marc von ihrem Mund lösen können und schrie. Marc hatte eine Tablette in der Hand und sah uns entsetzt an. Seltsamerweise aber blutete weder er aus dem Mund noch Maria aus dem Hals…
Innerhalb einer halben Sekunde war Johnny bei Marc angekommen und trat ihm mit dem Fuß volle Kanne gegen den Kopf. Er hatte eine Zeit lang Karate gemacht und ließ den Fuß seitlich hervor schnippen, um Marc zu treffen.
Regungslos klappte Marc zusammen. Gegen Johnnys Muskelkraft hatte er keine Chance. Schnell waren wir bei Maria und zogen den leblosen Marc beiseite. Johnny kniete über ihm und hielt ihm sein Messer an die Kehle.
„Maria, wie geht es dir?“, fragte Jeri ganz verzweifelt und tätschelte ihr die Wange.
„Ist ja gut. Ich bin ok!“, sagte sie und schob Jeris Hand behutsam beiseite.

„Der Blutsauger wollte dich umbringen!“, zischte Johnny wutentbrannt und mit einem gefährlichen Funkeln in den Augen. „Jeri, du liegst vielleicht doch falsch. Diese Vampire sind keine Menschen, sie sind bösartige Kreaturen!“
„Langsam mit deinem Urteil, Kleiner.“, sagte Eric. Er sah bedächtig in die Runde. „Ich habe genau gesehen, dass Marc gerade die Blutpille schlucken wollte.“
„Ja!“, bestätigte auch Maria. „Er wollte das alles nicht. Ich habe ihm gesagt, er soll lieber mein Blut trinken, als die Suchtmittel zu nehmen. Ich musste ihn dazu überreden, weil er meinte, er müsse unbedingt etwas gegen den Durst und die Schmerzen tun. Schließlich hat er früher auch schon Blut getrunken, wenn er Hunger hatte und keine Pillen da waren. Aber er hat es sich plötzlich anders überlegt und die Pille nehmen wollen, da habe ich geschrien. Er soll sich nicht weiter die Drogen rein hämmern, das bringt ihn noch um!“

Wir Jungs konnten es nicht fassen, was in der gutmütigen Maria vorging. Jeri war besonders sauer, er stammelte vor Anspannung nur so vor sich hin: „… das ist gefährlich. Wie kannst du nur… dich beißen lassen, von einem Junkie…“
Johnny war immer noch skeptisch: „Bist du sicher, dass er dich nicht beißen wollte? Er wollte uns hintergehen.“

„Ich hoffe, du hast ihn nicht umgebracht!“, sagte Maria sehr mitfühlend und versuchte, Marcs Puls zu erfühlen.
Ich suchte als erstes die rote, längliche Pille vom Boden und zertrenne sie mit dem Taschenmesser. „Tatsächlich! Sie hat mehrere Schichten. In jeder Schicht sind etwas andere Pulver drinnen. Jeri hatte die ganze Zeit recht! Da werden die unterschiedlichsten Stoffe freigesetzt. Mit Blutersatz hat das nichts zu…“
Meine Rede wurde von Maria unterbrochen. Schluchzend rief sie: „Oh nein. Dave. Komm her. Ich fühle nichts und er atmet auch nicht. Er muss ins Krankenhaus. Sofort!“

Ich behielt die Pille in der Hand und sah mir Marc an. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich einen schwachen Puls an seiner Halsschlagader feststellen konnte: „Johnny hat ihm beinahe das Genick gebrochen. Wir müssen ihn tatsächlich sofort ins Krankenhaus fahren, wenn wir ihn nicht auf dem Gewissen haben wollen. Helft mir vorsichtig, ihn hochzuheben. Wir müssen ihn auf der Decke tragen und dann auf die Rückbank ins Auto legen. Wenn wir ihn aufrichten, könnten wir seine Wirbelsäule zerstören.“

Sofort waren alle dabei, Marc auf eine Decke zu schieben und sie an den Enden hochzuheben. Maria ging vor und öffnete uns die Türen. Zum Glück waren gerade weder unsere Eltern noch Maria Yoda wach, so dass wir unbehelligt zu unserem Fiat kamen. Wir legten Marc vorsichtig auf die Rückbank in stabiler Seitenlage und fixierten ihn mit den Gurten. Maria achtete darauf, dass sein Kopf auf einem Kissen Halt fand. „Dave fährt, er fährt am vorsichtigsten. Ich fahre mit und passe auf ihn auf. Ihr anderen bleibt entweder hier, oder folgt mit dem anderen Auto.“
Keiner traute sich, ihr zu widersprechen und so stiegen wir beide schnell ins Auto ein. Ich startete den Motor, lenkte das Auto aus der Garage und fuhr los. So schnell ich es verantworten konnte, steuere ich den Wagen zum nächsten Krankenhaus, das zum Glück nur 10 Minuten entfernt in der Nachbarstadt lag.

Wir waren beinahe noch nicht weit von zuhause entfernt, da hörte ich eine tiefe Stimme von hinten: „So, und nun fahr rechts ran. Wehe, du drehst dich um! Ich habe eine Knarre.“
Völlig geschockt sah ich im Rückspiegel nach hinten. Die Stimme hatte beim besten Willen nicht nach Marc geklungen. Im Rückspiegel sah ich, dass jemand im Kofferraum saß, der eine Pistole über die Rückbank hob. Es dauerte nur einen Augenblick, dann löste sich der Schuss. Intuitiv ging ich in die Eisen, so dass der Wagen auf der verlassenen Landstraße in einem Waldstück zum Stehen kam. „Idiot! Ich meine es ernst. Rührt euch nicht vom Fleck!“, befahl die Stimme.
Ich traute mich nicht, mich noch einmal umzusehen. Ich hörte, wie etwas über die Rückbank kroch. Voller Angst sah ich in Marias Augen. Sie fürchtete sich genauso wie ich und wusste nicht, was zu tun war. Ich hörte ein Röcheln. Und dann traf mich ein harter Gegenstand auf dem Hinterkopf. „Pistolenknauf!“, war alles, was ich noch denken konnte, dann sackte ich zusammen und alles wurde schwarz.

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