16. Blogeintrag
Das Geheimnis
Schnell fliegen meine Finger über die Tastatur in einem Internet-Café,
das ich zuvor aus Anonymitätsgründen noch nie betreten hatte. Ich werde mich
beeilen, die weiteren Ereignisse zu beschreiben, nachdem wir durch Experimente
herausgefunden hatten, dass Marcs Magen untersäuert war. Wie Marc erklärt hatte,
nahm er Vampipräparate, die ihm helfen sollten. Wir vermuteten allerdings, dass
sie viel mehr Ursache als Lösung des Problems waren…
„Alles klar. Wir haben eine Diagnose. Wenn wir
den pH jetzt über längere Zeit testen, werden wir auch feststellen, ob es
tatsächlich an den Präparaten liegt. Bis dahin können wir mit Ptyalin aus der
Apotheke helfen. Und zusätzlich kann man den Magensäuremangel durch die
Einnahme von Kapseln mit Pepsin und Hydrochlorsäure, also Salzsäure, aus der
Zuckerrübe beheben.“, erklärte ich und betrachtete völlig in Gedanken verloren
den Indikatorstreifen.
„Müssen wir jetzt noch mehr
warten?“, fragte Johnny voller Anspannung.
„Nun, das hängt davon ab, was
unser Ziel ist. Wenn wir helfen wollen, wissen wir schon, was zu tun ist. Wenn
wir wissenschaftlich diese Form des Vampirismus erklären wollen, müssen wir
weitere Tests machen.“, sagte ich.
Jeri meinte: „Wir werden der
Wahrheit auf die Spur kommen. Und ich sage euch, ich hatte von Anfang an Recht.
Das Ganze ist eine Sucht, eine menschengemachte Krankheit, anstatt einer
evolutionären Entwicklung. Vampirismus ist viel zu unwahrscheinlich, als dass
es einfach so entstehen würde…“
Jetzt schaltete sich Erik wieder
ein: „Das ist alles nur nebensächlich! Natürlich wollen wir Marc helfen. Das
kriegt Dave schon auf die Reihe, da bin ich mir sicher. Wir müssen auch nur
warten und schauen, ob die Medis anschlagen, dann wissen wir Bescheid. Mich
beschäftigt was anderes. Wie können wir sicher gehen, dass wir überleben? Wir
haben gerade gelüftet, wie man den Vampirismus behandeln kann. Ist euch klar, was
das bedeutet? Wir sind ab jetzt die Top-Feinde von Chiang-Shih! Marc ist ein
Aussteiger, ein Verräter. Wenn davon irgendwas durchsickert, dann sind wir
dran!“
Johnny nickte eifrig: „Wir haben
erlebt, was passiert, wenn wir in ihren Fokus kommen. Wir müssen uns schützen.
Und Marc ist unsere undichteste Stelle!“
Marc hockte immer noch gefesselt
am Boden. Er hatte sich den Mund mit einem Handtuch saubergewischt und starrte
uns die ganze Zeit voller Neugier an. Man spürte ihm ab, dass er sich darüber
freute, dass wir ihm wahrscheinlich medizinisch helfen konnten. Mit fester
Stimme sagte er: „Ich bin keine undichte Stelle. Ich will aussteigen. Ich habe
schon, bevor ich zu euch kam, alle Verbindungen gekappt. Als Nachfolger von
Steve habe ich einen lokalen Administrator-Status im Netzwerk der Chiang-Shih. Ich
habe alles über euch gelöscht, was da noch gespeichert war. Euer Versuch, alles
zu löschen, hat nämlich nicht ganz funktioniert. Der zuständige Admin hätte die
Daten nämlich wiederherstellen können. Und, um euch das zu beweisen, werde ich
euch ins Netzwerk lassen.“
Erics Augen leuchteten vor
Vergnügen. Ihn reizte das Neue, das Unbekannte am Programm dieser Vampir-Sekte.
Sofort drehte er seinen Laptop, den er die ganze Zeit natürlich bei uns im
Keller gehabt hatte, zu Marc: „Dann zeig mal, was du drauf hast. Ich würde am
liebsten den Quellcode dazu sehen. Kannst du darauf zugreifen? Immerhin ist der
verschlüsselt.“
Plötzlich sprang die Kellertür
auf. Maria stand vor uns, mit in die Hüfte gestemmten Fäusten: „Ihr habt sie
wohl nicht alle. Ich steh schon ne ganze Weile vor der Tür und höre zu. Ihr
wollt euch hier ins Vampirnetz hacken, ohne mir Bescheid zu sagen? Wer ist denn
hier im Info-Leistungskurs?“
Ohne ein weiteres Wort stapfte
sie zu Johnny, der sie ganz verdattert anstarrte, und riss ihm Marcs
Kettenschlüssel aus der Hand. Johnny hatte ihn bisher wie seinen Augapfel beschützt,
aber gegenüber seiner kleinen aufgebrachten Schwester wusste er nicht, was er
tun sollte. Maria ging zu Marc und schloss ihn von den Fesseln los. Wir waren
zu überrumpelt, um zu handeln. Dann sagte meine kleine Schwester: „Das ist gar
nicht nötig. Ich habe gehört, dass ihr ihn ja jetzt behandelt. Ich glaube ihm,
er wird uns helfen. Und wenn Jeri Recht hat, dann wird er gar nicht stärker
sein als vier bewaffnete Männer. Marc, hilfst du uns?“
Marc nickte und streifte froh
seine Fesseln ab. Gemeinsam mit Maria setzte er sich mit Eric vor den Laptop.
Eric rief die Website auf und Marc loggte sich als Lokal-Admin ein. Dann flogen
Erics Finger nur so über die Tastatur. Marc leitete ihn und auch Maria gab ihm
hin und wieder Tipps. Johnny, Jeri und ich konnten nichts anderes, als
neugierig dabei stehen.
„Hier musst du den Cache laden!“,
sagte Marc.
„Hast du schon den
Roote-Zugriff?“, fragte Maria. „Damit kannst du alles machen.“
„Ok, ist starte eine
Roote-Force-Attacke“, fragte Eric.
Seine Augen glänzten vor
Aufregung.
„Was macht er da?“, hakte Jeri
nach.
„Ich versuche auf dem Benutzer
Roote, das ist der Super-User, das Passwort zu knacken.“, erklärte Eric.
Maria ergänzte: „Geh nicht
alphabetisch vor, das dauert ewig. Lass ein Wörterbruch durchlaufen. Erst
Englisch, dann Deutsch und anschließend Chinesisch.“
Eric: „Ok, das mache ich. Kann
aber dauern. Und es würde nur funktionieren, wenn die sehr unvorsichtig waren.
Es kann auch zwei Tage dauern, bis es durch ist.“
Eric startete das Programm, das
mit einem Prozentbalken signalisierte, wie viel der jeweiligen Sprache schon
durchgelaufen war.
Maria: „Aber ein vernünftiger
Server würde nach zehn bis hundert Versuchen abbrechen.“
Eric: „Stimmt, aber guck mal. Das
ist gerade schon durchgelaufen. Wir haben schon mehrere hundert Wörter
überprüft. Wenn bei Tausend kein Lock kommt, dann könnte es klappen!“
Gemeinsam starrten wir wie
gebannt auf den wachsenden Balken. Nach einiger Zeit hatte er die Tausend
geknackt.
„Jepp, sie haben keinen
Sicherheitsmechanismus drin!“, jubelte Johnny, der vorhatte,
Wirtschaftsinformatik zu studieren und sich auch etwas auskannte…
Am nächsten Morgen um sechs Uhr
war es endlich soweit. Eric rüttelte uns alle voller Aufregung aus dem Schlaf:
„Ich habs. Heureka. Der Hack hat geklappt, wir sind drinnen. Wir haben Zugriff
auf alles und auf den gesamten Quellcode.“
Wir sprangen von unseren Betten
hoch. Auch Maria, die bei uns geblieben war und Marc, der zu meiner Freude
nicht abgehauen war, sondern auf seiner Matratze gelegen hatte. „Zeig her!“,
meinte Johnny und drängte sich dicht vor den Laptop. Mehrere tausend Zeilen mir
unverständlichen Programmiercodes füllen das Display.
„Echt jetzt? Das ist alles?“,
sagte Maria und schaute sich den Quellcode noch einmal genauer an. „Scroll mal
da runter!“, befahl sie und zeigte auf das untere Ende des Bildschirms.
Eric gehorchte sofort. Mir kam es
zwar ziemlich lang vor, wie er zum Scrollen brauchte, aber Eric schüttelte nur
den Kopf: „Unglaublich. Das ist nicht besonders viel. Um genau zu sein, ist es
nicht einmal wirklich professionell oder sicher gehalten.“
„Kannst du das alles lesen?“,
fragte ich ungläubig.
Eric nickte: „Natürlich, das ist
Java hier für die Website… und hier PHP.“
Maria erklärte: „Ein paar Befehle
verstehe ich auch. Und guck mal hier, hier stehen die Benutzer. Es wäre doch
interessant, festzustellen, wann sich wer angemeldet hat. Daran würde man auch
rausfinden, wer zu den alten Vampirtypen gehört. Wer also besonders mächtig
ist.“
Das war eine gute Idee. Eric
suchte nach einem Tool, das die Daten und Uhrzeiten der Änderungen an der Datei
anzeigte. Schließlich wurde er fündig und installierte es. Bald zeigte uns eine
rote Schrift im Tool die Änderungsdaten des Quellcodes.
Eric klärte uns auf: „Also, die
Seite ist vor gerade mal fünf Jahren online gegangen. Wo, das werde ich noch
herausfinden. Innerhalb von zwei Monaten gab es fünf Registrierungen und drei
Monate danach kamen gleich Zehntausende dazu. Alle zur gleichen Zeit. Da hat
jemand alle Daten gemeinsam hochgeladen. Anschließend gab es hier und da ein
paar Anmeldungen. Insgesamt vielleicht zweihundert.“
Diesmal war es Marc, der die
wichtige Entdeckung machte: „Leute, guckt euch das an. Die Namen wiederholen
sich!“
Wir starrten ihn ungläubig an.
Doch dann zeigte er uns auf dem Bildschirm, was er meinte. „Guckt euch das an.
Bloodslayer als Namen findet man hier, und hier. Einmal ohne Zahl, dann
Bloodslayer69, Bloodslayer73.“
„Da ist was dran.“, gab Eric zu
bedenken. „Ich werde mal die Suche starten, ob der Name noch öfters vorkommt.
Ich habe keine Lust, alle Zehntausend Namen abzusuchen.“
Mit den Tasten „Strg“ und „F“
öffnete er die Suche und ließ die Datei nach „Bloodslayer“ durchsuchen. Er
hatte 51 Treffer.
„Zeig die mal alphabetisch an!“,
schlug Maria vor.
Und tatsächlich, wir trauten
unseren Augen nicht. Die Namen waren durchnummeriert: Bloodslayer ohne Namen
und dann von Bloodslayer40 bis Bloodslayer90. „Heißt das, es sind zugewiesene
Namen vom System, so wie unsere Uni-Logins für das Uni-Netzwerk?“, fragte ich
verdattert.
Aber Marc schüttelte eifrig den
Kopf, so dass die braunen Locken flogen: „Nein. Die Namen sucht man sich definitiv
selbst aus. Es ist der Name, den man als Vampir angenommen hat. Ich kenne auch
keinen Vampir, der eine Zahl im Namen hat.“
„Dann gibt es den Namen
Bloodslayer entweder sehr häufig unter Vampiren oder wir haben es hier mit
einer Verschönerung der Statistik zu tun. Das gab es bei Schurkenorganisationen
auch schon öfters. Man will mächtiger wirken.“, erklärte Jeri.
Natürlich lag ihm alles daran,
die ganze Vampirgeschichte kleinzuspielen, also erwiderte ich: „Das sagst du
nur, weil du meinst, dass es eine Art Verschwörung, statt einer biologischen
Mutation ist. Verschwörungen sind immer eher klein, Mutationen müssten aber
eine große Zahl von Vampiren hervorbringen. Du hast dafür keinen einzigen
Beleg!“
Jeri grinste breit: „Doch, den
habe ich. Adolf Hitler trat damals in die NSDAP mit einer Nummer mit
Fünfhundertpaarundfünfzig. Aber die Partei hatte erst paarundfünfzig
Mitglieder. Man wollte Eindruck schinden. Und ich werde es dir beweisen, dass
es auch dieses Mal so ist, Dave.“
Jeri zeigte auf den Bildschirm.
Eric folgte mit dem Mauszeiger. „Schaut euch die anderen Namen an. Die meisten
dieser Vampirnamen, die auf einmal hochgeladen wurden, haben Zahlen. Während
die davor und danach keine Zahlen haben, so wie Marc es gesagt hat. Wenn ihr es
überprüft, werdet ihr sicher feststellen, dass es immer die Zahlen 40 bis 90
sind. Wollen wir wetten? Hier wurde das System geschönt, damit man glaubt, man
habe Zehntausende User, beziehungsweise Mitglieder in Chiang-Shih!“
Keiner wollte ihm so Recht glauben,
bis Eric verschiedene Namen durchsucht hatte. Jeri hatte Recht. Es waren immer
genau 51 Treffer. Jeri grinste selbstgefällig: „Ich setze noch einen obendrauf.
Hier sind nämlich auch die Wohnorte angegeben, beziehungsweise die, wo sie
stationiert sind. Und ihr werdet sehen, es sind immer die gleichen 51 Städte.
Wenn ihr nichts Besseres zu tun habt, dann lasst einen Algorithmus drüber laufen,
der es sortiert. Es sind 51 Städte, sicherlich große und bedeutende, wie New
York, Tokio, hier Peking und hier sogar Berlin, Paris, London. Ihr glaubt doch
selbst nicht, dass es in jeder Stadt genau gleich viele Vampire gibt? Schaut
mal hier, warum sollte bitte schön in Frankfurt genau so viel los sein, wie in
Washington? Und, um den Beweis abzuschließen: Schaut euch die Posts der Vampire
an. Ihr werdet nie einen dieser Vampire finden, der etwas postet! Warum nicht?
Es gibt sie nicht. Sie sind Karteileichen, die niemals gelebt haben. Genau so
wart ihr doch auch geschockt, als ihr die große Anzahl an Usern gesehen habt.“
Eric überprüfte alles sofort, was
Jeri sagte. Und wir mussten ihm in allem Recht geben. Das war nicht gerade übel
von ihm. Er hatte uns tatsächlich bewiesen, dass es gerade einmal zweihundert
Mitglieder der Chiang-Shih gab.
„Doch das ist noch nicht alles!“,
trumpfte Jeri auf. Er hatte einen richtigen Lauf. „Dass Eric das System einfach
so knacken konnte, ohne dass es gesichert war, spricht ebenfalls für meine
Theorie. Ich behaupte, dass es eine kleine Sektenähnliche Gemeinschaft ist, die
nichts mit Vampiren zu tun hat, außer der Idee, sie seien welche. Diese Sekte
verkauft teure Präparate und zwingt ihre Mitglieder, ihnen zu gehorchen, indem
sie behauptet, sie seien Vampire. Wären das wirklich Zehntausende weltweit,
wären ihnen das FBI und BND schon längst auf den Fersen.“
„Das müssen wir erst beweisen.
Noch wissen wir ja gar nicht, ob Marc wieder gesund wird und sein
Verdauungssystem nur reversibel geschädigt ist. Ich müsste in meinem organische
Chemie-Praktikumsraum die Pillen testen, um mehr darüber herauszufinden. Wir
müssen auch abwarten, was mit Marc ist. Bis morgen muss er der Sucht nach den
Pillen und dem Hunger nach Blut standhalten, denn dann kommt das Phytalin, das
Pepsin und die Hydrochlorsäure per 24h-Express aus den Niederlanden. Marc, hast
du vielleicht irgendwo in der Stadt noch solche Pillen?“
Marc schüttelte den Kopf: „Nein,
die sind ausgegangen. Ich glaube, ich habe die letzte gegessen, bevor ich zu
euch kam. Ich spüre schon, dass in mir wieder der Blutdurst aufsteigt…“
„Du meinst die Sucht nach deinem
Mittel!“, korrigierte ihn Jeri.
„Jaja, das mag sein.“, sagte ich.
„Aber selbst wenn wir die Pillen hätten, könnten wir sie nicht einfach weiter
an Marc geben. Wir brauchen ja Gewissheit. Wenn wir bisher Recht haben und die
Pillen sind in mehrere Schichten geteilt, könnten wir trotzdem nicht einfach
das Medikament gegen Magenuntersäuerung außen auf der Pille für verwenden, denn
hier sind unter Garantie auch schon Suchtstoffe enthalten, wenn Jeris Theorie
stimmt…“
Wir wendeten weiter noch alle
möglichen Überlegungen hin und her, bis es schließlich Zeit zum Schlafen wurde.
Wir teilten die Wachen ein und legten uns dann schlafen. Eric ließ noch ein
Programm laufen, was nach der IP-Adresse der Admins und Autoren fahndete.
Morgen würden wir so einiges wissen.
*
Doch es wurde keine ruhige Nacht.
Uns riss der Schrei einer Frau aus dem Schlaf. Völlig erschreckt fuhren wir
hoch und wussten nicht, was geschah, bis einer das Licht anmachte. Ganz
offensichtlich war die Wache Maria eingeschlafen…
Voller Schock bleiben unsere
Augen an Maria hängen. Sie lag auf dem Boden. Marc kniete über ihr. Sie hatte
einen roten Abdruck am Hals. Irgendwie hatte sie die Hand von Marc von ihrem
Mund lösen können und schrie. Marc hatte eine Tablette in der Hand und sah uns entsetzt
an. Seltsamerweise aber blutete weder er aus dem Mund noch Maria aus dem Hals…
Innerhalb einer halben Sekunde
war Johnny bei Marc angekommen und trat ihm mit dem Fuß volle Kanne gegen den
Kopf. Er hatte eine Zeit lang Karate gemacht und ließ den Fuß seitlich hervor
schnippen, um Marc zu treffen.
Regungslos klappte Marc zusammen.
Gegen Johnnys Muskelkraft hatte er keine Chance. Schnell waren wir bei Maria
und zogen den leblosen Marc beiseite. Johnny kniete über ihm und hielt ihm sein
Messer an die Kehle.
„Maria, wie geht es dir?“, fragte
Jeri ganz verzweifelt und tätschelte ihr die Wange.
„Ist ja gut. Ich bin ok!“, sagte
sie und schob Jeris Hand behutsam beiseite.
„Der Blutsauger wollte dich
umbringen!“, zischte Johnny wutentbrannt und mit einem gefährlichen Funkeln in
den Augen. „Jeri, du liegst vielleicht doch falsch. Diese Vampire sind keine
Menschen, sie sind bösartige Kreaturen!“
„Langsam mit deinem Urteil,
Kleiner.“, sagte Eric. Er sah bedächtig in die Runde. „Ich habe genau gesehen,
dass Marc gerade die Blutpille schlucken wollte.“
„Ja!“, bestätigte auch Maria. „Er
wollte das alles nicht. Ich habe ihm gesagt, er soll lieber mein Blut trinken,
als die Suchtmittel zu nehmen. Ich musste ihn dazu überreden, weil er meinte,
er müsse unbedingt etwas gegen den Durst und die Schmerzen tun. Schließlich hat
er früher auch schon Blut getrunken, wenn er Hunger hatte und keine Pillen da
waren. Aber er hat es sich plötzlich anders überlegt und die Pille nehmen
wollen, da habe ich geschrien. Er soll sich nicht weiter die Drogen rein hämmern,
das bringt ihn noch um!“
Wir Jungs konnten es nicht
fassen, was in der gutmütigen Maria vorging. Jeri war besonders sauer, er
stammelte vor Anspannung nur so vor sich hin: „… das ist gefährlich. Wie kannst
du nur… dich beißen lassen, von einem Junkie…“
Johnny war immer noch skeptisch:
„Bist du sicher, dass er dich nicht beißen wollte? Er wollte uns hintergehen.“
„Ich hoffe, du hast ihn nicht
umgebracht!“, sagte Maria sehr mitfühlend und versuchte, Marcs Puls zu
erfühlen.
Ich suchte als erstes die rote,
längliche Pille vom Boden und zertrenne sie mit dem Taschenmesser.
„Tatsächlich! Sie hat mehrere Schichten. In jeder Schicht sind etwas andere
Pulver drinnen. Jeri hatte die ganze Zeit recht! Da werden die unterschiedlichsten
Stoffe freigesetzt. Mit Blutersatz hat das nichts zu…“
Meine Rede wurde von Maria
unterbrochen. Schluchzend rief sie: „Oh nein. Dave. Komm her. Ich fühle nichts
und er atmet auch nicht. Er muss ins Krankenhaus. Sofort!“
Ich behielt die Pille in der Hand
und sah mir Marc an. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich einen schwachen Puls
an seiner Halsschlagader feststellen konnte: „Johnny hat ihm beinahe das Genick
gebrochen. Wir müssen ihn tatsächlich sofort ins Krankenhaus fahren, wenn wir
ihn nicht auf dem Gewissen haben wollen. Helft mir vorsichtig, ihn hochzuheben.
Wir müssen ihn auf der Decke tragen und dann auf die Rückbank ins Auto legen.
Wenn wir ihn aufrichten, könnten wir seine Wirbelsäule zerstören.“
Sofort waren alle dabei, Marc auf
eine Decke zu schieben und sie an den Enden hochzuheben. Maria ging vor und
öffnete uns die Türen. Zum Glück waren gerade weder unsere Eltern noch Maria
Yoda wach, so dass wir unbehelligt zu unserem Fiat kamen. Wir legten Marc
vorsichtig auf die Rückbank in stabiler Seitenlage und fixierten ihn mit den
Gurten. Maria achtete darauf, dass sein Kopf auf einem Kissen Halt fand. „Dave
fährt, er fährt am vorsichtigsten. Ich fahre mit und passe auf ihn auf. Ihr
anderen bleibt entweder hier, oder folgt mit dem anderen Auto.“
Keiner traute sich, ihr zu
widersprechen und so stiegen wir beide schnell ins Auto ein. Ich startete den
Motor, lenkte das Auto aus der Garage und fuhr los. So schnell ich es verantworten
konnte, steuere ich den Wagen zum nächsten Krankenhaus, das zum Glück nur 10
Minuten entfernt in der Nachbarstadt lag.
Wir waren beinahe noch nicht weit
von zuhause entfernt, da hörte ich eine tiefe Stimme von hinten: „So, und nun
fahr rechts ran. Wehe, du drehst dich um! Ich habe eine Knarre.“
Völlig geschockt sah ich im
Rückspiegel nach hinten. Die Stimme hatte beim besten Willen nicht nach Marc
geklungen. Im Rückspiegel sah ich, dass jemand im Kofferraum saß, der eine
Pistole über die Rückbank hob. Es dauerte nur einen Augenblick, dann löste sich
der Schuss. Intuitiv ging ich in die Eisen, so dass der Wagen auf der
verlassenen Landstraße in einem Waldstück zum Stehen kam. „Idiot! Ich meine es
ernst. Rührt euch nicht vom Fleck!“, befahl die Stimme.
Ich traute mich nicht, mich noch
einmal umzusehen. Ich hörte, wie etwas über die Rückbank kroch. Voller Angst
sah ich in Marias Augen. Sie fürchtete sich genauso wie ich und wusste nicht,
was zu tun war. Ich hörte ein Röcheln. Und dann traf mich ein harter Gegenstand
auf dem Hinterkopf. „Pistolenknauf!“, war alles, was ich noch denken konnte,
dann sackte ich zusammen und alles wurde schwarz.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen