Mittwoch, 7. September 2011

13. Jeri glaubt einfach nichts!

13. Blogeintrag
Jeri glaubt einfach nichts!

Hallo liebe Leser meines Blogs,
wie ihr sicherlich schon mitbekommen habt, musste ich in letzter Zeit des Öfteren mit dem Bog umziehen. Eric hat immer wieder einmal festgestellt, dass die Blogs nicht sicher sind. Wäre er nicht so geschickt im Umgang mit dem Internet, wäre meine Identität möglicherweise schon aufgeflogen. Von nun an veröffentliche ich bei einem Bekannten meine Blogs, der ein Schriftsteller ist, den ich über das Netz kennen gelernt habe. Benjamin Scholl heißt er und hat meinen Blog unter dem Stichwort „Vampirevolution“ verlegt.

Auf diese Art und Weise kann ich von nun an sicher schreiben. Benjamin wird nichts passieren, da jeder Leser meine Geschichte nur für eins seiner Werke halten wird – hoffentlich! Und wenn nicht, nun, er kennt meine wahre Identität ja sowieso nicht! Wir kennen uns nur per Email!

Nun aber weiter zu dem, was mir passiert ist. Wie ihr es sicher gemerkt habt, ist schon mein übernächstes Semester angebrochen. Es hat Zeiten in den letzten Monaten gegeben, da hätte ich nicht damit gerechnet, jemals so weit zu kommen. Aber dazu später mehr. Ich muss meine Gedanken ordnen und vorne anfangen, damit verständlich wird, wovon ich spreche…

Es war ein gewöhnlicher Frühherbsttag, als ich mal wieder mit meinem Freund Jeri telefonierte. Er hatte angekündigt, uns bald besuchen zu wollen, da auch seine Eltern in unserer Stadt wohnten. Gerne nutzten wir die Zeiten, um unsere alte Schulfreundschaft durch gemeinsame Unternehmungen aufleben zu lassen. Soweit so gut. Alles hätte super sein können, wenn Jeri mich nicht so gut gekannt hätte. Wir hatten lange nicht miteinander gesprochen und so war Jeri aufgefallen, dass ich mich verändert hatte. „Bedrückt dich irgendetwas, Dave?“, hatte er immer wieder gefragt.
„Nein, wer eine Naturwissenschaft studiert, den kann nichts bedrücken. Du weißt ja genau, wie leicht und einfach mein Studium ist.“, war meine ausweichende und sarkastische Antwort gewesen.
Doch Jeri ließ nicht locker und so musste ich ihn immer wieder abspeisen. Dummerweise war er auch mit meinen Brüdern befreundet, die er ebenfalls kennen gelernt hatte, als er noch mit mir in der gleichen Klasse gewesen war. Was wir auch taten, es wurde Jeri immer klarer, dass wir drei nicht ganz normal waren.
Und so kam es, dass Jeri es sich zum Ziel seines mehrwöchigen Urlaubs bei uns erkoren hatte, das Geheimnis der seltsamen Brüder zu lüften, die ständig nur Andeutungen machten und sich nicht aussprachen, warum sie so gestresst, abwesend und beinahe paranoid waren.

Ich hatte mir nämlich lange angewöhnt alle Menschen in meiner Umgebung zu mustern und war außerdem in den Semesterferien mit Johnny zu einem Selbstverteidigungskurs vom Unisport gegangen. Obwohl wir ja alle hofften, endlich aus der Sache raus zu sein, ließ es uns nicht los. Das galt neben Eric, Johnny und mir leider auch für Maria. Unsere kleine Schwester kannte Jeri ebenfalls und hatte sich in einem Chatgespräch mit ihm über unsere Vampirerlebnisse verquasselt, als wir drei Brüder gerade keine Zeit für Jeri gehabt hatten. Was genau Maria da gesagt hatte, wussten wir nicht, aber jedenfalls stand Jeri noch am gleichen Abend bei uns zu Hause auf der Matte.
„Hallo.“, begrüßte er mich mit ernstem Gesicht, als ich ihm die Türe öffnete.
Er hatte einen Rucksack dabei, indem er Wechselklamotten und andere Dinge, die man zum Übernachten braucht, mitgenommen hatte. „Wir müssen reden.“, sagte er trocken und folgte mir in mein Zimmer.
Dort angekommen knallte er seinen Rucksack in die Ecke, setzte sich auf mein kleines Sofa und sah mir starr in die Augen. Dann begann er: „Dave, wir sind nun schon lange Freunde. Aber ich finde, du könntest mir endlich sagen, was mit eurer Freak-Familie abgeht…“
Wie immer zuckte ich nur die Achseln: „Was soll schon sein?“

Jeri reichte es und er erklärte mir, dass Maria ihm bereits alles erzählt hatte: „Ich weiß mittlerweile, was Sache ist. Deine Schwester hat gestern mit mir gechattet und mir dabei einen Link geschickt, der eigentlich an Eric gedacht war. Ich habe mir das durchgelesen und festgestellt, dass es etwas mit Vampiren zu tun hat.“
Als ich das Wort „Vampire“ hörte, musste ich schlucken. Ich konnte mir denken, was kommen würde.
Jeri räusperte sich und fuhr dann fort: „Und als ich nachgehakt habe, hat Maria mir alles erzählt. Dass ihr von Vampiren angegriffen worden seid, dass Eric sich in deren System gehackt hat und so weiter. Aber du weißt das alles besser als ich. Nur ich will jetzt endlich auch von dir mal reinen Wein eingeschenkt bekommen?“

Ich hatte keine Lust direkt zu antworten und versuchte es mit einem Witz: „Aber ich dachte, ihr Christen trinkt keinen Wein?“
Jeri konnte nicht lachen: „Du weißt, dass das nicht stimmt. Christen finden es nur nicht gut, sich hemmungslos zu besaufen, um dann am nächsten Morgen aufzuwachen, ohne zu wissen, was man getan hat. Aber; Alter, darum geht es gerade gar nicht! Ich bleibe hier solange sitzen, bis du endlich sagst, was euch da passiert ist!“
Ich musste wohl einsehen, dass es keinen Zweck hatte. Maria hatte alles verraten und uns damit in große Gefahr gebracht. Jeri war natürlich vertrauenswürdig, aber wenn er das rausgefunden hatte, könnten es vielleicht auch andere…
Aber es half nichts und ich begann von vorne, um Jeri in Kurzform zu erklären, was uns alles passiert war. Er hörte mir stillschweigend zu und wartete, bis ich fertig war. Dann atmete er tief aus und sagte: „Das klingt alles so extrem erfunden und erlogen, dass es wohl wahr sein muss. Ich habe damals auch von dem Autounfall mitbekommen, da ich ja wusste, wo ihr zu dem Zeitpunkt wart und ich wissen wollte, ob es euch getroffen hatte; aber es war nur ein mittelalter Mann gewesen. Ich gehe also davon aus, dass du wirklich die Wahrheit sagst. Du musst mir aber auf jeden Fall erklären, wie ihr drauf kommt, dass diese Typen Vampire sind. Ich meine, nur weil der eine euch beißen wollte und angeblich aus dem Fenster aus drei Meter Höhe gesprungen ist. Ich habe euch doch mal bei deinen Großeltern besucht, und Eric hat uns eingeschlossen. Da haben wir festgestellt, dass es vor dem Fenster ein kleines Dach über der Haustüre im Erdgeschoss gibt, über das man abhauen könnte.“

Völlig verdattert starrte ich Jeri an. Erzählte er gerade ernsthaft, dass wir uns das alles nur ausgedacht hatten?
„Ich glaube, ich spinne. Nur weil man da eventuell auch so runter klettern kann, soll das alles falsch sein? Ich habe dir doch gesagt, was Eric alles rausgefunden hat und dass man uns dafür umbringen wollte. Und damit nicht genug. Thoralf ist ja selbst seit Monaten auf Vampirjagd und hat den einen Vampir getötet. Wie willst du das denn alles wissenschaftlich erklären?“, fragte ich vorwurfsvoll.
„Weiß ich doch nicht. Aber das ist alles noch kein Beweis. Und überhaupt, wo sollen Vampire denn auf einmal herkommen?“
Jetzt wurde ich wirklich wütend: „Bist du so bescheuert oder tust du nur so? Ich habe dir meine wissenschaftliche Erklärung doch erzählt. Es ist ziemlich sicher eine Mutation eines Virus gewesen, der auf diese Art und Weise den Evolutionsprozess in Gang gebracht hat. Die stärkeren Vampire überlebten und passten sich an, also beziehungsweise deren Virusversion. Im Vergleich zu dem Unterschied der menschenähnlichen Affenvorfahren, wie Kenyanthropus platyops, ist eine solche Mutation ein Kinderspiel!“
Jeri ließ sich von mir nicht überzeugen: „Du weißt doch ganz genau, dass ich an die Evolution nicht glaube. Für mich ist ein Vampir genauso Unfug wie die Entwicklung eines Einzellers aus dem Matsch, oder die eines Menschen aus einem Affen. Dave, du machst genau den gleichen Fehler, den alle anderen Biologen machen. Ihr schließt von Daten zurück auf deren Ursprung, ohne dass ihr es wirklich wissen könnt. Man findet ein paar Knochen einer unbekannten Affenart und schon ist es natürlich ein Vorfahre des Menschen. Man kommt auf die Idee, es gäbe einen Urknall und schon muss man an keinen Schöpfer mehr glauben. Und in deinem Fall werdet ihr bedroht und Eric findet das ganze Zeugs im Internet und schon glaubst du es. Auch wenn ich gerade keine bessere Erklärung habe, glaube ich nicht, dass es wirklich Vampire gibt! Das passt nämlich in mein Weltbild nicht rein, und ich mache es jetzt wie du und setze es einfach als gegeben voraus.“

Schon wieder fing Jeri mit dem Thema an. Theologie vs. Biologie, der große Kampf. „Jeri, ist das jetzt wirklich wichtig? Für jeden Biologen ist es eine Grundannahme, dass die Evolution stattgefunden hat. Und in diesem Rahmen ist meine Theorie schlüssig. Natürlich weiß ich, dass es nur eine Theorie ist, aber es hat auch noch keiner das Gegenteil bewiesen.“
Jeri nickte: „Stimmt. Und das gleiche gilt für meinen Glauben. Ich glaube nicht an die Evolution und nicht an deine Vampirgeschichte. Natürlich können sich Arten verändern, sieht man ja schon bei der Hundezucht, aber dass sich ein so kompletter Wandel vollzieht, dass Menschen von Blut leben können, lichtempfindlich werden und uralt, das halte ich für Humbug.“

„Typisch Christen…“, murmelte ich. „Ihr erklärt einfach alles für Aberglaube, was euch nicht passt. Aber mir ist es ehrlich gesagt scheißegal, ob du mir glauben willst oder nicht. Ich weiß, was ich gesehen habe…“

Die Diskussion dauerte noch etwa eine Stunde, bis uns beiden der Kopf qualmte. Jeri gab schließlich nach: „Ok, ich will mal versuchen, dir zu glauben. Ich tue mal so, als wäre das alles möglich. Es ist jedenfalls schon krass genug, dass man versucht hat, euch umzubringen, und dass dabei zwei Menschen – entschuldige, Vampire – gestorben sind. Aber weißt du, ich kann einfach nicht mehr weiter streiten. Mein Kopf ist völlig zu. Lass uns doch in euren Keller gehen und etwas Tischkicker spielen, um wieder klarer zu werden. Denn, was auch immer ihr da erlebt habt, das ist eine richtig miese Sache…“
Da hatte Jeri endlich einmal etwas Schlaues gesagt. Natürlich hatte mich sein Schöpfungsgelaber nicht überzeugen können. Es war ja schließlich meine Entscheidung, was ich glauben wollte, oder nicht. Also stimmte ich ihm zu und folgte ihm über die Treppe in den Keller.

Unten angekommen, stellten wir uns an den Tischkicker, der im Durchgangsflur unseres Kellers stand. Gemütlich war es hier unten nicht, da noch nicht renoviert worden war und die Räume hier unten bisher nur als Rumpelkammern dienten. Es war staubig und kalt, so dass man nie länger als zum Kickern hier unten bleiben wollte. Als ich kleiner gewesen war, hatte es mich sogar manchmal gegruselt in den dunklen Keller zu gehen, um irgendwelche alten Sachen heraus zu kramen.

Klackernd fiel der Ball durch das Loch auf das Spielfeld und mein Mittelfeldspieler traf ihn so geschickt, dass er an Jeris Abwehr vorbei ins Tor sauste. Ich hatte zu fest geschossen und so prallte er ab und wieder zurück ins Spielfeld, statt im Tor liegen zu bleiben. „Hey, der gilt aber trotzdem!“, sagte ich und nahm den Ball vom Feld, um ihn erneut einzuwerfen.
Doch Jeri hob nur den Zeigefinger und legte in an die Lippen. „Psst! Da war doch was?“, sagte er.
„Nein, das war nur das Krachen meines Balles gegen dein völlig ungeschütztes Tor.“ erwiderte ich grinsend.
Doch Jeri schüttelt den Kopf: „Nein, da war ein krachendes Geräusch bereits kurz davor. Ich bin mir absolut sicher.“

Plötzlich erwachte wieder die Vorsicht in mir und ich sah mich suchend um. Instinktiv griff ich in meine Hosentasche und umfasste das Taschenmesser, das ich immer bei mir hatte. Jeri bemerkte diese Geste gar nicht, sondern lauschte in unseren Keller hinein. Und tatsächlich. Es klang so, als sei eine Art Blechschüssel auf den Boden gefallen. Ich hatte genau gehört, dass es aus der Rumpelkammer neben dem Kellerflur gekommen war, auch wenn dessen Türe noch zu war. „Jeri, hol mal schnell Eric und Johnny. Wer weiß, was das ist!“, sagte ich und zog das Taschenmesser aus der Hose.

Offensichtlich glaubte mir Jeri in meinen Berichten wenigstens so weit, dass er tatsächlich leise und schnell die Kellertreppe hinauf lief, um meine Brüder zu holen. Mit pochendem Herzen stellte ich mich neben die geschlossene Türe und wartete mit geöffnetem Messer darauf, was passieren würde.

Aber nichts geschah und schon bald waren Eric und Johny mit Jeri erschienen. Alle drei hatten einen Baseballschläger in der Hand. „Ich würde da nicht reingehen.“, sagte Johnny und zeigte auf die Türe. „Wenn da tatsächlich ein Vampir drinnen ist, dann sollten wir die Türe lieber von außen abschließen, als reinzugehen. Das gefällt mir nicht!“
Johnnys ängstliche Art überraschte mich. Er war doch sonst immer der Erste, wenn es darum ging, Blutsauger zu jagen…

Doch Eric ließ sich nicht einschüchtern. „Dann schaue ich halt nach!“, sagte er, trat zur Tür und zog sie langsam auf.
Blitzschnell warf er die Türe auf und sprang mit erhobenem Baseballschläger herein. Doch statt den Raum weiter zu betreten, verharrte er in seiner Position. Ich konnte nicht anders, als ihm zu folgen und ebenfalls den Raum zu betreten.
Und was ich da sah, verschlug mir den Atem. Dort lag wahrhaftig Marias ehemaliger Klassenkamerad Marc, der geknebelt und mit Seilen gefesselt war. Er hatte ein blau angeschwollenes Auge und sah ängstlich zu Erics und meinem Baseballschläger herauf. „Hmmmpfe!“, war alles, was er durch das Tuch, mit dem er geknebelt war, herausbrachte.
Jetzt kamen auch Johnny und Jeri in den kleinen Raum. Ihre Gesichter ließen auf große Verwunderung schließen.

„Was hast du gesagt?“, frage Eric und ging etwas näher an den gefesselten Marc heran.
„Hmmmmlfe!“, keuchte Marc.
„Ich werde dir jetzt den Knebel lockern, also keine Angst, wir tun dir nichts!“, erklärte Eric und beugte sich herab.
Irgendwie schienen Erics Worte keinen beruhigenden Eindruck auf Marc zu haben, da dieser wie ein verängstigtes Karnickel aussah. „Mann, lass das. Der ist ein Blutsauger!“, kam es jetzt aus Johnny heraus, der schnell zwischen Eric und Marc gesprungen war.
Das kam überraschend. „Johnny, woher weißt du das?“, fragte Eric und sah unserem Bruder fest in die Augen.
„Na, weil, weil, weil ich ihn im Garten erwischt und gefangen genommen habe. Lass ja den Knebel zu, er ist gefährlich!“, stammelte Johnny.
„Aha. Du hast einen Vampir im Keller und sagst deinen Brüdern nichts. Das wird ja immer besser. Ich werde ihm das Tuch lösen und ihr anderen bedroht ihn mit den Schlägern. Egal, was für ein Vampir er ist, mit den Teilen spaltet ihr im Notfall jeden Schädel!“, sagte Eric und schob Johnny beiseite.
Unser jüngerer Bruder wurde kreidebleich, als Eric Marc schließlich den Knebel abnahm.
„Hilfe!“, war das erste, was Marc nach einem tiefen Atemzug herausbrachte. „…Schützt mich vor dem Irren. Ich bin hierhergekommen, um euch um Hilfe zu bitten und euer Bruder hat mich niedergeschlagen und gefesselt. Dann hat wollte er mich zwingen, ihn ebenfalls zu einem Vampir zu machen.“
Es sprudelte nur so aus dem gefesselten Marc heraus. Ungläubig sahen Jeri, Eric und ich den roten Johnny an. „Ich, ich. Also. Ich wollte, dass er mich auch verwandelt, damit ich unsere Familie besser verteidigen kann. Wie in dem Film Blade, wo der beste Vampirjäger selber ein…“
Patsch!
Knallend hatte Eric seinem kleinen Bruder eine Ohrfeige verpasst, die sich gewaschen hatte. „Junge, du spinnst doch wohl. Du wolltest dich beißen lassen? Ohne mit uns zu reden? Du hast sie nicht mehr alle!“

Jeri war so gelähmt von der Schnelligkeit, mit der alles auf uns einprasselte, dass erst einmal gar nichts sagte. Mir ging es ähnlich, aber ich riss mich zusammen und kniete mich zu Marc, um weitere wichtige Infos von ihm zu bekommen. „Also, bist du wirklich ein Vampir?“, fragte ich eindringlich.
Marc schloss die Augen. Er schien mit sich zu kämpfen, ob es wirklich ratsam wäre, uns die Wahrheit zu sagen. Dann irgendwann hatte er sich entschieden: „Ja, bin ich. Und deshalb bin ich hier. Ich weiß, dass du ein Biologe bist und dass unsere Organisation dich dafür umbringen wollte. Mein Blutvater Steve war damit betraut und ich sollte ihm eigentlich helfen. Aber ich habe mich verdeckt gehalten, um zu sehen, was passieren würde. Ich war ja auf Maria angesetzt gewesen und musste von eurer Bildfläche verschwinden, bevor meine Tarnung auffliegt. Nun ja, ich habe gesehen, wie Steve euch erwischt hat und bin euch dann gefolgt. Als ich ankam, habe ich gesehen, wie ihn euer seltsamer Freund getötet hat und ihr euch anschließend aus unserem System gelöscht habt. Euch hätte ich vielleicht noch töten können, aber als mir klar wurde, dass Maria dann ebenso dran gewesen wäre, entschied ich mich, es lieber zu lassen. Das hätte ich nicht übers Herz gebracht. Ich habe also so getan, als hätte es euch nie gegeben und das Revier von Steve übernommen. Aber seit ich in dieser Stadt der Obervampir bin, habe ich für die Organisation so kranke Sachen machen müssen, dass ich endlich aussteigen wollte. Ich will weder bei Chiang-Shih sein, noch als Vampir leben. Ich will keine Menschen mehr töten müssen!“

Der junge Vampir hatte Tränen in den Augen, während er erzählte. Keiner von uns traute sich, ihn zu unterbrechen. Erst als er fertig war, hakte ich nach: „Und warum wolltest du zu mir kommen?“
„Weil ich recherchiert habe, was ihr so macht. Ich habe festgestellt, dass ihr alles rausbekommen habt und du sogar eine halbwegs tragfähige Theorie entwickelt hast. Und ich habe mich gefragt, ob du in der Lage bist, mittels Gentechnik meine Verwandlung rückgängig zu machen und das Virus aus mir zu entfernen.“

Ich musste schlucken. Ebenso wie ich, waren auch Eric, Jeri und besonders Johnny wie versteinert. Wir hatten hier einen Vampir gefangen, der alles zugab und uns um Hilfe bat. Was war da zu tun? Wäre es nicht das allersicherste für uns, wenn wir ihn sofort töteten?
„Also, das könnte…, das wird schwierig…“, druckste ich herum, in dem Wissen, dass es nach dem aktuellen Stand der Technik absolut keine Chance gab, ihm zu helfen.
Ich versuchte, etwas Zeit zum Denken zu gewinnen und fragte daher: „Wie bist du denn eigentlich Vampir geworden?“
„Ich bin am Hals blutend in einem alten Lagerhaus aufgewacht. Vorher war ich ein ganz normaler Junge gewesen so wie ihr. Aber ich erwachte mit großen Schmerzen und unstillbarem Hunger und dann war da plötzlich Steve. Er erzählte mir etwas, von wegen ich sei auserkoren, Teil einer neuen Rasse zu sein und so weiter. Dann outete er sich als Vampir und erklärte mir, dass er mich im Sinne seiner Vampirorganisation verwandelt hatte. Ich würde nun ebenfalls Blut oder Blutpräparate der Organisation trinken müssen, wenn ich überleben wollte. Es war auch irgendwas mit Virus oder so, aber er hat selbst keine Details gewusst. Erst habe ich mich gegen meinen Hunger gewehrt, aber das half nicht lange. Ich habe versucht, mich normal zu ernähren, aber was ich auch aß, es konnte mich nicht sättigen. Erst als ich Steves Blutpräparat trank, wurde ich wieder gekräftigt. Steve nahm mich von da an mit sich und weihte mich in die Geheimnisse von Chiang-Shih ein und dass wir als Vampire immer gehorchen müssten. Nun lebe ich schon seit zwei Jahren in dieser furchtbaren Lebensform. Ich habe oft schreckliche Schmerzen und einen unstillbaren Hunger. Wenn Steve mir keine Präparate gab, war ich gezwungen, Blut zu trinken. Tierisches Blut funktionierte zeitweise, aber langfristig wurde ich zu schwach, wenn ich kein menschliches Blut oder dessen Präparate zu mir nahm. Aber ich will das nicht mehr. Ich will frei sein. Ohne Tod und Verderben. Bitte, Dave, hilf mir. Ich werde alles was ihr tun. Alles. Außer euch zu verwandeln. Bitte helft mir!“

Unglaublich! Es war alles so, wie ich gesagt hatte. Jeri hatte Un Recht gehabt. Ich wusste, dass Alles, was ich entwickelt hatte, stimmte. Es war sicher. Vampire hatten sich evolviert. Es gab keine Chance, Marc davon zu heilen. Seine Peptidasen waren funktionsunfähig. Jede seiner Zellen war von dem Virus mutiert und hatte ihr Erbgut verändert. Es gab keine Hoffnung für Marc!

Jeri musste wohl ahnen, was ich dachte: „Mensch, Dave. Das weißt du überhaupt nicht. Du musst ihn untersuchen. Du musst mikrobiologische Checks machen. Im Grunde müsste man ihn medizinisch scannen. Die Organe testen. Und vielleicht sind wirklich nur die Peptidasen kaputt. Das sind doch auch Enzyme. Sie könnten inhibiert sein.“
Jeris Fachwissen überraschte mich. Er hatte meinen Erklärungen also doch sehr genau zugehört: „Jeri, wie kommst du auf sowas?“
„Ich war mit dir im gleichen Bioleistungskurs. Du gehst ja davon aus, dass es langfristige Veränderungen des Gencodes sind. Aber denk mal logisch. Was ist denn, wenn er aufgrund einer Vergiftung so viele Peptidaseinhibitoren im Körper hat, dass er nicht mehr selbstständig verdauen kann und daher vorverdautes Blut aufnehmen muss?“
Obwohl ich ihm nicht vollständig Recht geben konnte, hatte er immerhin einen Vorschlag für eine wissenschaftliche Erklärung: „Also, du meinst, dass seine proteinverdauenden Enzyme als solche geschädigt sind, nicht aber deren Produktion? Daran habe ich noch nicht gedacht. Ist auch im Grunde unlogischer. Aber falls das doch irgendwie ginge, dann hätte er konstant einen hohen Pegel an hemmenden Substanzen. Pepstatin, Iodacetat oder Phenanthrolin fallen mir da spontan ein. Das zweite, also Iodessigsäure gibt es z.B. in Pflanzenschutzmitteln oder Arzneimitteln. Die Iodessigsäure ist zwar sonnenlichtempfindlich, aber das würde bei einem Vampir, der das Sonnenlicht meidet, kein Problem darstellen. Nun, angenommen du hättest recht, dann wäre es durchaus möglich, ihm zu helfen. Und, nur mal angenommen, du hättest wirklich recht, dann würde das erklären, wieso er Blut zu sich nehmen muss, das nämlich zusätzliche Peptidasen enthält, die eine Zeit lang wirken, bis sie inhibiert werden. Aber, wie ich schon sagte, eine Zerstörung der Peptidasen halte ich für wesentlich unwahrscheinlicher, als dass deren Bildung schon gestört ist.“

„Ja, das mag alles sein. Aber wir müssen ihn einfach checken. Bitte, Dave!“, sagte Jeri, der es einfach nicht ertragen konnte, jemanden vor sich zu sehen, dessen Gesundheit ihn zum Töten zwang. Das passte einfach nicht in sein Weltbild.

Johnny war die ganze Zeit schweigsam gewesen. Er war sich seiner Schuld bewusst und schämte sich, dass er uns hintergangen hatte. Jetzt aber schaltete auch er sich ein: „Sorry, Marc. Ich wusste nicht, was es heißt, einer von euch zu sein. Ich habe nicht verstanden, warum du mich nicht verwandeln willst. Mann, ich war so ein Idiot.“
„Ja, warst du!“, stimme Eric zu „Das ändert aber nichts daran, dass Marc nach wie vor gefährlich ist. Ich bin der Meinung, wir sollten ihm den Gefallen tun und ihm nach unseren Kräften helfen. Aber entfesseln können wir dich leider nicht. Dafür seid ihr Vampire einfach zu stark!“
Marc schien traurig darüber, dass wir ihm nicht vollends vertrauten. Aber was hatte er auch erwartet? Wollte er bei uns klingeln und uns sagen, dass sein Blutsvater uns hatte töten wollen und er dabei zugesehen hätte?

Gemeinsam entschieden wir uns, Marc hier unten zu lassen, damit ihn unsere Eltern und Maria nicht zu Gesicht bekamen. Wir mussten ihn ja auch in seinen Fesseln lassen. Aber wir entschieden uns, es ihm etwas bequemer zu machen und ihm eine Decke zu holen. Außerdem gaben wir ihm Wasser und Traubenzucker, da ich wusste, dass man diesen unverdaut bereits im Mund und auch im Magen aufnehmen konnte, völlig unabhängig davon, was an Enzymen funktionsunfähig war…

Gemeinsam setzten wir fünf uns in dem Raum zusammen und überlegten, was zu tun sei. Im Grunde würde man ein ganzes Labor brauchen, um Marc richtig untersuchen zu können. Eric holte seinen Laptop und so setzen wir uns hin, um gemeinsam einen Plan zu erarbeiten…

Soweit erst mal zu dem, was wir erlebt haben. Es ist schon spät und ich kann heute nicht weiter schreiben, sondern muss mir etwas Schlaf gönnen. Ich werde ihn dringend brauchen!

Grüße
Dave



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